223 Log 250315 Forschungsfenster V

Scores Hespos, Scherchen ergänzen

Einladung
Forschungsfenster Dorothea Schürch | SO 30.3.25 | 18 Uhr | VIA Basel

DOROTHEA SCHÜRCH
FORSCHUNGSFENSTER «SCORE-DENKEN»
Sonntag, 30.3.2025 um 18 Uhr

VIA Studio
Amerbachstrasse 55a, 4057 Basel
Google Maps

I.  Score-Denken: Notationen, schreiben, aufschreiben, zuschreiben, überschreiben, anschreiben ­– eine Auswahl aus den Logbüchern
II.  Präsentation der Datenbank: www.thevoiceandthemachine.com
III.  Kommentieren als Performance:
nach Elke Erb: Es setzt auf mich 2004

Was mit einem ersten Forschungsfenster im Kasko Basel 2016 begonnen hat, findet nun im VIA Studio seine Fortsetzung.
Wir freuen uns auf euch!
Chris Regn und Andrea Saemann

Dorothea Schürch, Aus dem was sich so zuträgt I, Foto © Cornelia Cottiati
〈ort〉 Emmenbrücke, April 24

Dorothea Schürch macht nach den Forschungsfenstern «Leere Stimmen», «L’Anticoncept», «Membran» und «Wunderblöcke» unter dem Titel «Score-Denken» ihre Arbeit in Archiven und mit dem eigenen Archiv zum Thema: das Schreiben und Weiterschreiben ihrer Logbücher Forschungstagebücher), die mittlerweile in einer Online Datenbank gefasst wurden und zugänglich sind. Mit dem Titel Score-Denken bezieht sich Dorothea Schürch auf einen Workshop, den die IGNM gemeinsam mit OOR Salon und Irene Revell im März 2025 im Kunstraum Walcheturm Zürich durchgeführt hat. Mit dem Score-Denken erscheinen die herkömmlichen Aufzeichnungssysteme wie Notation und Recording in neuem Licht.

 


Erster Teil
Einführung

  • MUWI = Scores, Notationen, neu: graphic scores, text scores
  • Selbstverständnis als Musikerin → Notenlesen
  • Sorgen / Sorgfalt, wie diese Zeichen zu interpretieren und umzusetzten sind
  • Gilt auch für Performances Art: Wie werden Performance notiert?
  • Notation und Wiederaufführbarkeit: Performance als Premiere, als Premiere und Derniere, Notation als Grundlage für den Verkauf von Performances ua..
  • scoring oder making a score
  • → Frage: steht scoring sowohl für das Erstellen eines Scores, wie für dessen Umsetzung?
  • freie Improvisation in den 80ger Jahren → Verweigerung von Scores / Noten (vgl. Jazz/Real Book)
  • → Frage: wann hast du diese Haltung aufgegeben?
  • Score Denken wurde in der Ausschreibung des Workshops Diffraction Work verwendet. Der Workshop wurde von der IGNM Zürich in Zusammenarbeit mit OOR Saloon und Irene Redevell im Walcheturm in Zürich im März 25 durchgeführt.
  • «Score» dient als Stichwort zur Auswahl von sechs Logbücher der Datenbank
  • 6 der Eintragungen wurden für das Forschungsfenster V zusammengefasst

 


Präsentation der Scores
Cathy Berberian: Stripsody
Luciano Berio: Sequenza III
Earl Brown: Folio
John Cage: Song Book
Hans-Joachim Hespos:
Pauline Oliveros: Deep Listening
Joko Ono: Grapefruit
Tona Scherchen: Träne

  • Biographische Angaben
  • Catherine Berberian (1925 Massachusetts ­– 1983 in Rom) war eine US-amerikanische Sängerin (Mezzosopran) und avantgardistische Komponistin. Sie gilt als eine der vielseitigsten Sängerinnen der Geschichte.
  • Luciano Berio (1925 in Oneglia – 2003 in Rom) war ein italienischer Komponist, bekannt für seine experimentellen Kompositionen und als einer der Pioniere der elektronischen Musik.
  • Earl Brown (1926 Massachusetts – 2002 New York war ein US-amerikanischer Komponist, Mitglied der sogenannten New York School von Komponisten.
  • John Cage (1912 in Los Angeles –1992 in New York City), US-amerikanischer Komponist und Künstler.
  • Hans-Joachim Hespos (1938 ­–2022) war ein deutscher Komponist und Verleger seiner Werke.
  • Pauline Oliveros (1932 – 2016) war eine US-amerikanische Komponistin und Akkordeonistin.
  • Tona Scherchen, (*1938 Neuchâtel.), is one of the first composers who brought Chinese elements into European avant-garde art music.Tona Scherchen was born into a musical family in Neuchâtel. Her father was conductor Hermann Scherchen and her mother was composer Xiao Shuxian. She spent the first 12 years of her life in Europe, particularly in Switzerland. She arrived in China in 1950 with her mother and her older sister Féfé. In 1956, just a year before China fell into political chaos, she returned to Europe to be with her father in order to pursue further music education. Her teachers included György Ligeti and Hans Werner Henze.
    After the 1960s, Scherchen had become an active composer, titles of her music were frequently seen in contemporary music programmes. Her works were published by prominent publishers, and several articles on her as a composer can be found, although after some appearances in 1980s, she seemingly ceased to catch attention beyond her French circle.
  • Yoko Ono (*1933 Tokyo) ist eine japanisch-amerikanische Künstlerin, Filmemacherin, Experimentalkomponistin und Sängerin. Sie gilt als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der Fluxus-Bewegung, Ono Anfang der 1960er Jahre in Künstlerkreisen einen Namen gemacht und trat zunehmend als Friedens- und Menschenrechtsaktivistin auf.

Präsentation der Datenbank

  • Diese Datenbank entsteht im zusammen mit meinem Auftrag an der HKB im Institut Interpretation experimentelle Stimmen der 50ger bis 70ger Jahren zu erforschen, die zu dieser Zeit mit Tonband aufgezeichnet worden sind: Experimentelle Stimmen und Tonbandmaschinen.
  • Die Datenbank in dieser Form ist ein Experiment, das sich erst noch zu bewähren hat. Es ist ein Work in Progress. Sie verändert sich ständig: neue Einträge werden in neue Rubriken gefasst etc. etc.
  • Meine Forschungsfenster I-IV waren schwerpunktmäßig mit experimentellen Stimmen befasst. Es ging um „leere Stimmen,“ also um einen stimmphysiologischen Umgang mit Stimme jenseits der Sprache, um sogenannte vor- und nachsprachlichen Transformationsprozesse der Stimme. Stimmgebung vor der Artikulation und um nachsprachliche Lautlichkeit, in der sich die Bedeutung der Worte verliert trotz der sprachlichen Artikulation.
  • Im Rahmen des Forschungsprojekt bin ich nach Paris, nach San Francisco und nach London gereist, um in den entsprechenden Archiven nach diesen Stimmen zu suchen, um die Konzertorte oder Studios zu besuchen in den diese Stimmen performt und aufgezeichnet wurden. Auch eine Gelegenheit Interviews zu machen zur Geschichte der experimentellen Stimmen und der Entwicklung des Tonbands als Kompositionswerkzeug.
  • Reisetagebücher, Gespräche, Notizen zu Bücher und Publikationen – was immer ich geschrieben habe wurde als Logbuch-Eintrag nummeriert und datiert.
  • Vorstellen der einzelnen Rubriken der Seite

Logbuch-Auswahl
Stichwort SCORE DENKEN

219 Log 250221 Score-Denken
172 Log 240712 Saemann meets Schneemann_Jäger: ‚Aura’ und
141 Log 231001 Grüny: Scores zwischen Aufbruch und Normalisierung
129 Log 230912 Krämer_Aspekte einer philosophischen Theorie der Schrift
129 Log 230912 Assmann Schrift_Gedächtnis_Musik
081 Log 230220 Saidiya Hartman_Critical Fabulation_different bodies

ORD, alle können alles runterladen und verwenden
Alle Quellen überprüfen


Zusammenfassung der Eintragungen

129 Log 230912
Assmann Schrift_Gedächtnis_Musik


Jan und Aleida Assmann

Kulturelles Gedächtnis
Paradigmawechsel in den Kulturwissenschaften
zum kulturellen Gedächtnis gehören die in «teilweise jahrtausendelanger Wiederholung gehärteten» Texte, Bilder und Riten

Jan Assmann (1938–­2024)
Kultur- und Religionswissenschaftler, Ägyptologe
Schrift-Gedächtnis-Musik, 2020

Fokus: Begriff der funktionalen Schriften:
– Sprachzeichen als mnemotechnische Zeichen
– Eigennamen, Sach- und Zahlenwerte
– Besitz und Abgabeverhältnisse
– Schrift dient der Buchhaltung

– politische Repräsentation, Grabkultur, Kult (Assmann, 2020:54)
– Gültigkeit über die Todesgrenze hinaus (Assmann, 2020:55)
– Rezitation im Rahmen des Kults: die Toten werden unsterbliche Mitglieder der Götterwelt


129 Log 230912
Krämer_Aspekte einer philosophischen Theorie der Schrift


Sybille Krämer

Zu einigen Aspekten einer philosophischen Theorie der Schrift

Das was Schrift ist und leisten kann in 4 Geschichtspunkte geordnet
– Räumlichkeit
– das Graphische (Graphismus)
– das operative Potential
– Affinität von Schrift und Maschine (Komputer)

Fokus: Räumlichkeit
Worin liegt die Attraktivität der Schrift, der artifiziellen Flächigkeit?

  • Sonderraum eines zweidimensionalen Raumes, indem alles kontrollierbar wird
  • = Überblick, Vogelflugperspektive
  • In der Partitur nimmt die Musik einen operativen, überblickbaren Raum, es ist zu sehen, was gewesen ist und was kommen wird…
  • Überklang des Klangraums der leiblichen Dreidimensionalität in den Schauraum der artifiziellen Zweidimensionalität, diese Transformation bringt ein neues Potential
  • Schrift ist kreativ, weil man sie auf dem Papier herumschieben kann, umstellen, kopieren, zusammenfassen – abgesehen davon sind Zahlen erst durch die Schrift/Zeichen sichtbar
    = das Potential der Schrift

Es geht um Schriftkonfigurationen.

 


141 Log 231001
Grüny: Scores zwischen Aufbruch und Normalisierung

Christian Grüny:
Scores zwischen Aufbruch und Normalisierung

Fokus:
sprachbasierte Notationen, die von Karkoschka, nur stiefmütterlich behandelt werden. Es geht um die Partitur, als Instanz der präzisen Fixierung der Vielstimmingkeit.

künstlerische Präskriptionen / Scores bezieht

  • Unterschiedliche Konstellationen, die in die Notation eingetragen werden
  • Konstellationen von Konzeption, Interpretation und Rezeption
  • Stichworte: Interdisziplinarität, Heterogenität, Vermittlung, Komplexität

La Monte Young
Composition 1960 #7
to be held for a long time

Yoko Ono (Grapefruit)
Voice Piece for Soprano
scream
‹against the wind›
‹against the wall›
‹against the sky›

 


219 Log 250221 Score-Denken
Score Denken

Workshop «Diffraction Works – Score Workings»
by OOR Saloon in collaboration with Irene Revell
Sunday 2.3.2025 at Walcheturm Zürich
Fotos und Kommentar

 


 Zweiter Teil
Performance
Aus dem was sich so zuträgt IV
nach Elke Erb

 

 

 

 

219 Log 250221 Score-Denken

Workshop «Diffraction Works – Score Workings»
by OOR Saloon in collaboration with Irene Revell
Sunday 2.3.2025 at Walcheturm Zürich

«Diffraction Works – Score Workings»
Ausschreibungstext:
The event focuses on cosmologies of non-separability, attentive and situated listening, joint improvisation, reading and discussion. The format thinks itself diffractive with and through the scores as relational propositions for embodied political negotiations, as temporally non-linear possibilities of gathering otherwise.

Irene Revell
Her recent focus has been on the curatorial challenges posed by text instruction scores and related live ephemera, developing the workshop as a curatorial format amidst the wider notion of the embodied curator. She is interested in the development of such curatorial formats that may be iterative, extra-institutional, and of modest scale in terms of labour and other resources, she continues to research the use of text instruction in contemporary practices.
(zit n. Royal College of Art: Irene Revell und OOR Workshop)
weiterführende Links:
Her Noise Archive
Preemtive Listening

Diffraction Works – Score Workings_1
Diffraction Works – Score Workings_2
Diffraction Works – Score Workings_3
Diffraction Works – Score Workings_4
Diffraction Works – Score Workings_5
Diffraction Works – Score Workings_5b
Diffraction Works – Score Workings_6
Diffraction Works – Score Workings_7
Diffraction Works – Score Workings_7b
Diffraction Works – Score Workings_8
Diffraction Works – Score Workings_9
Diffraction Works – Score Workings_10
Diffraction Works – Score Workings_11
Diffraction Works – Score Workings_12
Diffraction Works – Score Workings_13
Diffraction Works – Score Workings_14
Diffraction Works – Score Workings_15
Diffraction Works – Score Workings_16
Diffraction Works – Score Workings_17
previous arrow
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Alison Knowles und Annea Lockwood:
Score-Magazin-Projekt «Womens Work» (1975-8)
In 2019 with Primary Information Irene Revell republished Womens Work (eds. Alison Knowles & Annea Lockwood, 1975-8)
Irene Revell und Sarah Shin: Bodies of Sound: Becoming a Feminist Ear (Silver  Press, 2024)


Ausschreibung (Auszug)
How to hold attention collectively for a tiny moment in space-time?
Wie können wir gemeinsame Aufmerksamkeit für winzige Momente bündeln?
Score als temporäre Vereinbarung
niemals eine Einigung, sondern eine Einladung
Schmerz, Unbehagen, Unsicherheit, Missverständnisse werden angesprochen bevor sie auftauchen
ein vereinbarter gemeinsamer Erfahrungsraum

«Score-Denken»
politischen Ästhetik des Textscores
queer-feministisches und dekoloniales Zuhören
Behindertengerechtigkeit und erweiterte Formen der Praxis
Bsp: spekulative feministische Geschichten der Performance-Partitur
Textinstruktions-Arbeiten, vgl. Pauline Oliveros in den frühen 1970er Jahren
Form(en) von Text Scores und ihre Geschichtlichkeit stehen im Vordergrund

 


250303
Zusammenfassung und weiterführende Kommentare

situatives Hören ←→ analytisches Hören
Vgl. Recorder (Oliveros)
das Mikrophon (die Aufzeichnung) fokussiert nicht
während unser Hören störende Geräusche ausblendet (zB Flugzeuggeräusche)
weghören/wegschneiden/filtern

Musik
Diffraction: es geht nicht um Musik, sondern um geteilte Aufmerksamkeit für WINZIGE Momente
Partitur reduziert auf das Wesentliche
Video/Tape zeichnen ALLES auf
Fokus – stellt sich nachträglich, was ist wichtig?

der Score wird vorgetragen
um den Score auszuführen wird der Score vorgelesen
der Score, ungleich einer Partitur, kann nicht gleichzeitig gelesen und aufgeführt werden
der Score wird vorgetragen
wie spricht man zu 40 Leuten?
Versammlung vor dem Walcheturm unter der grossen Platane
in einem Kreis stehen
geschlossene Augen
eine Predigerin, die keine sein will und die sich unverhofft in dieser Rolle findet
liest vor
ausgestellt sein

Besucher/Zuhörer
Versch. Besuchende (IGNMVorsitzender(?), Mitveranstalter IGNM, Kurator Walcheturm)
Zuschauen/Besuch/Public werden ignoriert
eigentlich gibt es kein «aussen», es wird nichts geprobt, es sind keine Proben, weil es auch keine Aufführung gibt.
Bzw. keine Aufführung für ein Publ.
es geht ums Machen
merkwürdig unangenehm der Besuch
wird ignoriert
ansonsten wurde alles bedacht: auch eine Ruhezone
Unbeteiligter EH sitzt auf einem Stuhl
Was-ist-los?
der Score wird ausgesprochen leise vorgelesen, suggestiv, zart, empathisch
demonstrativ fein?
Müssten Scores auswendig gelernt werden, damit sie umgesetzt werden können?

Was ist mit den Zeitangaben?
nirgends eine Uhr
1 Minute, 2 Minuten, nur approximativ oder nicht?

auch drinnen sind die Score-Stimmen leise und weich
einschläfernd

Score
…einen Gegenstand in der Nähe in die Hand nehmen
seine Textur, sein Gewicht – was jetzt?
Textur oder Gewicht?
auch vor dem Walcheturm:
sich verbinden mit Tieren, Gräsern, Himmel
mit allen was (nicht?) da ist
oder liebhaben oder nicht lieb
sich verbinden – unverbindlich.
Warum nicht mit den Würmern?
Was kreucht und fleucht unter den Füssen
Vor lauter Auswahl keine Bestimmung, keine Ausrichtung
offen lassen zu offen lassend
im Sternzeichen der Ambivalenz
des Niemanden-mit-einem- Vorschlag einschränken

Space oder Raum oder Möbelierung
Die Räume bequem eingerichtet
eine Ecke um zu chillen, um sich zurückzuziehen
diese Vorsicht kippt zu einem Anzeichen könnte etwas hereinbrechen
Unwohlsein, Überforderung, ein langer Tag
wohlbedacht vieles vorwegnehmen und damit aber auch anwesend machen

Schluss
…dass alle vorbehaltslos mitgemacht hätten
da wäre keine Zurückhaltung spürbar gewesen, wie sonst oft
dass jemand, oft, öfters einzelne…hier, nein
well, es sind viele Leute und die einzelne Zurückhaltung zurückhaltend..

Fachjargon
Kein Fachjargon: decrescendo, pitch, was ist ein pitch?, ein Sound, Ton, Intervall, Puls, Rhythmus, keine musikspezifischen Begriffe herbeiziehen, um eine Partitur zu erklären. S’wird zwangsläufig langfädig, weil alles muss umschrieben werden. «Ich spiele nicht Klavier» they sitzen und drücken die Tasten. Nicht nur spielt they nicht Klavier (und tut es doch), they hört auch nicht was they spielen, damit beschäftigt die Töne zu drücken.
Es soll vermieden werden, dass jemand eine Erklärung braucht: was ist ein decrescendo? Anstatt einzuladen, dass die Leute hörend verstehen, was gemeint ist.

Scoring
Scoring ist allen zugänglich, keine Vorkenntnisse
im Workshop nennen sich die Vortragenden/facilitator
das hingehend ein Begriff der meine Alarmglocken läuten lässt.
Wie auch immer.
Lesend sind die Scores schwellenlos zugänglich
in der Aufführung gibt es doch wieder Dirigat, Zeigen und Zeichen und einige wenige die sich richtig freuen draufzuhauen.

 

176 Log 240729 Reise UK

Separate Logbücher zu
Trévor Wishart, York
Lily Greenham
Bob Cobbing

BBC Written Archives Centre in Reading

Daphne Oram Archiv Goldsmith University in London
The Daphne Oram Collection is sited in the Special Collections & Archives, Goldsmiths, University of London E14 6NW.
Access is by appointment only.
Search the recordings available in the collection
Book a visit the Special Collections & Archives, Goldsmiths Library, University of London

„…Daphne Oram über praktische Erfahrung mit elektroakustischer Komposition. Zwar hatte sie eine technische Ausbildung an der BBC absolviert, besass jedoch auch einen musikalischen Hintergrund: Als Jugendliche hatte sie Klavier gespielt, sich aber für eine technische statt musikalische Ausbildung entschieden. Neben ihrer Anstellung an der BBC war sie als Komponistin tätig: Ende der 1940er-Jahre experimentierte sie laut eigener Berichte im privaten Rahmen mit dem Tonbandgerät. 1949 komponierte sie ein Stück für zwei Orchester, fünf Mikrophone und manipulierte Aufnahmen und reichte dieses 1950 bei der Musikabteilung der BBC ein – jedoch ohne Erfolg“

Vgl. Oram, Daphne: „Daphne Oram 3. January 1983 – Daphne Oram’s BBC career as it relates to…“, 3.1.1983, Daphne Oram Collection, Goldsmith University London ORAM3/5 – The Radiophonic Workshop – The first 25 years, 1982-1983, S. 1. (Eichenberger 2021:51)

 


240810
«Europe has produced sound poets in the persons of Greta Monach (Netherlands) and Katalin Ladik (Hungary), who released an EP of her work, «Phonopoetica», in 1976. In England, Paula Claire has been working with improvisational sound since the 1960s. Lily Greenham, born in Vienna in 1924 and later based in Denmark, Paris and London, developed a so-called neo-semantic approach during the 1970s. She coined the term ‹Lingual Music› to describe her electroacoustic experiments with tape recordings of her voice. During the 1950s she became involved with the Wiener Gruppe (Vienna Group) and was an accomplished performer of sound & concrete poetry by many artists such as Alain Arias-Misson, Bob Cobbing, Gerhard Rühm, and Ernst Jandl. This was due in part to her training as an operatic singer and the fact that she was fluent in eight languages. Lingual Music, a double CD collection of her work, was released posthumously in 2007 by Paradigm Discs in the UK. Her archive is now held at Goldsmiths, University of London.» (Zit n. Sound Poetry)

Sound Poetry UK
A wide-ranging survey of British sound poets and artists from the 1960s to the present, featuring Bob Cobbing, Neil Mills, Liliy Greenham, Chirstopher Logue, Ann Laplantine, and more.

Delia Derbyshire
Archiv von Delia Derbyshire an der John Rylands Research Instutut and Library in Manchester

Katalin Ladik (born Újvidék, 25 October 1942) is a Hungarian poet, performance artist and actress. She was born in Újvidék, Kingdom of Hungary (today Novi Sad, Serbia), and in the last 20 years she has lived and worked alternately in Novi Sad, in Budapest, Hungary and on the island of Hvar, Croatia. Parallel to her written poems she also creates sound poems and visual poems, performance art, writes and performs experimental music and audio plays. She is also a performer and an experimental artist (happenings, mail art, experimental theatrical plays). She explores language through visual and vocal expressions, as well as movement and gestures. Her work includes collages, photography, records, performances and happenings in both urban and natural environments.
Katalin Ladic (facebook)

Poetry Foundation: The Women and the Avant-Garde (part 2)

 

172 Log 240712
Andrea Saemann: Saemann meets Schneemann – a performance thanks to Carolee Schneemann
Ludwig Jäger: ‚Aura’ und ‚Widerhall’. Zwei Leben des ‚Originals’ Urheberrechtsfragen in der Performancekunst

Urheberrechtsfragen in der Performancekunst
– Andrea Saemann: “Saemann meets Schneemann”
, 2006

Mit einer Perf. hängen zs.

  • Handlung/Perf./Event
  • Fotos/Videos der Perf
  • Relikte der Perf
  • Notizen zur Perf

– wie wird Zitat in der Perf. / im Theater definiert?
– Def. re-enactment, Aktualisierung, re-doing, Wiederaufführung?
– wieviel Ähnlichkeit ist erlaubt, wann stellt sich die Urheberrechtsfrage?
– ist “Meeting Schneemann” (Andrea Saemann) bloss ein Verweis?
– oder gibt es ein genuines Interesse die Interior Scroll im Sinne einer Interpretation zu performen/aufzuführen?
– wie grenzt sich in der Musik Interpretation von Paraphrase ab, von etwas anklingen lassen…
– würden Perfs. den Status “interpretierbarer” Werks erhalten, was änderte sich?
– was beinhaltet «Status eines interpretierbaren Werks»?
– wenn sich Perf.-Kunstwerke wieder aufführen lassen, was bedeutet das für das Original?

«Jene reine Sprache, die in fremde gebannt ist, in der eigenen zu erlösen, die im Werk gefangene in der Umdichtung zu befreien, ist die Aufgabe des Übersetzers.“ (…) „Die wahre Übersetzung ist durchscheinend, sie verdeckt nicht das Original, steht ihm nicht im Licht. Sondern läßt die reine Sprache, wie verstärkt durch ihr eigenes Medium, nur um so voller aufs Original fallen».
Walter Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers, 1923
Walter Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers, 1923.pdf
– Das Original wird durch die Übersetzung «befreit»
– Die im Original gebannte «reine, eigentliche, ursprüngliche» Idee/Licht trifft zurück, verstärkt das Original
– gilt das auch f. «Interpretation», «re-enactment»?

Ludwig Jäger: ‚Aura’ und ‚Widerhall’. Zwei Leben des ‚Originals’ – Anmerkungen zu Benjamins Konzeptionen des Originalen
Abstract: Der Beitrag diskutiert zwei Aufsätze Walter Benjamins, die mit Blick auf die jüngere Original-Kopie-Debatte von großer Bedeutung sind. Benjamin hat in seinem ‚Übersetzer’-Aufsatz von 1923 und in seinem ‚Kunstwerk’-Aufsatz von 1939 zwei Begriffe eingeführt, die von hoher transkriptionstheoretischer Relevanz sind und die dort beide jeweils im Zentrum der Argumentation stehen: ‚Aura’ und ‚Widerhall’. Unter je spezifischer Perspektive fokussiert Benjamin anhand dieser Begriffe ein grundlegendes kunst- und medientheoretisches Problem – das Problem des Verhältnisses von ‚Original’ und ‚Fortleben’ des Originals, wobei ,Fortleben’ einmal als Übersetzung und zum anderen als technische Reproduktion verhandelt wird. Transkriptionstheoretische Überlegungen im Ausgang von diesen in Benjamins Werk zentralen theoretischen Begriffen erlauben es, das Verhältnis von ,Original’ und ,Kopie’ neu in den Blick zu nehmen. (zit.n. Jäger: Abstract, Link siehe oben)

Keywords: Original, Kopie, Widerhall, Walter Benjamin, Aura, Kunstwerk, Reproduktion, Übersetzung, Übersetzbarkeit, Fortschreibung, Transkription, Nachträglichkeit, Vorgängigkeit.

 

Musik
SUISA,  Tantiemen, Musik am Radio ≠ Aufführung eines Stücks
Für die Pressung einer CD muss zwingend eine Anmeldung bei der SUISA vorliegen

168 Logbuch 240524 Heroines of Sound – Herstories

Sanio, Sabine, und Bettina Wackernagel (Hrsg). „Einleitung“, in: Heroines of sound : Feminismus und Gender in elektronischer Musik. Hofheim am Taunus: Wolke Verlag, 2019, S.16–29.

I am a Feminist, wird zwar zum verkaufstauglichen T-Shirt, but that’s all. 1971 begründet Lina Nochlin mit ihrem Essay Why have there been no great women artists? die feministische Kunstwissenschaft(en, Mehrz.!). In den Musikwissenschaften kommen solche Fragestellungen erst 40 Jahre später auf, erst recht was die Elektronische Musik betrifft. Die elektronischen Klänge als «geschlechtslose Sounds» seien Theorie geblieben, so Sanio und Wackernagel. Hinter den Maschinen wirken die gleichen Machtverhältnisse wie sonstwo im Konzertbetrieb.

mit Beiträge zu
Bebe Barron / Alice Shields
Else Marie Pade
Daphne Oram
Delia Derbyshire/Maddalene Fagandini
Suzanne Ciani → Plop für Coca-Cola (S17)
Laurie Spiegel → Star Wars, Atari, Lego (Sounddesign)
Laurie Spiegel → Music Mouse, an intelligent Music Instrument für Atari7

GRM (Nachtrag (S.21)
Monique Rollin
Christine Groult → christinegroult@free.fr
Beatriz Ferreyra
Clara Mïda
Louïse Bulot
Polen: Musica Electronica Nova / Wroclaw
Elzabieta Sikora lebt in Paris
Jagoda Szmytka

2016 Festivalschwerpunkt zu Stimmen in der Elektronischen Musik
mit Cathy Berberian, Anna Clementi, Ute Wassermann, Dorit Chrysler

Stichwort: Embodiment in der elektronischen Musik

 

141 Log 231001 writing music
Christian Grüny:
Scores zwischen Aufbruch und Normalisierung

Interdisziplinäre Ringvorlesung am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung, Wien, 3.11.2016 (1)

Grünys Vortrag fokussiert auf sprachbasierte Notationen, die von Karkoschka (2) , nur stiefmütterlich behandelt werden. Es geht um die Partitur, als Instanz der präzisen Fixierung der Vielstimmingkeit. Grünys Vortrag bezieht sich auf «Scores», weil es mehr um eine wie auch immer geartete künstlerische Präskription bezieht. Das Ziel des Vortrags kann nicht eine abgeschlossene Theorie der musikalischen Notation sein.

  • Unterschiedliche Konstellationen, die in die Notation eingetragen werden
  • Konstellationen von Konzeption, Interpretation und Rezeption
  • Stichworte: Interdisziplinarität, Heterogenität
  • Wozu Notation? um komplexere Musik aufzubauen, zu bewahren und zu vermitteln, eine Begrenztheit der Perspektive
  • es geht die Notation als Medium der Vermittlung zw. musikalischer Struktur und ihrer Verkörperung und entscheidend: um Komplexität

Partituren werden immer wieder neu interpretiert, Notentreue – für die musikalische Grafik gilt das nur begrenzt. Zentrale Figur ist John Cage, der mit dem Artikel Experimental Music: Doctrine eine grosse Distanz zur alteuropäischen Musiktradition markiert. Cage stellt die Frage, was composing, performing und listening miteinander zu tun haben. “Die Partitur ist der Knotenpunkt dieser Verschiebungen und der Ort, wo sie bearbeitet werden.”

1950: Cage, Feldman, Brown, Wolff
erste offenen Partituren – grafische Notationen

  • was wird festgelegt?
  • nicht nur Vorgaben für klangliche Strukturen
  • Cage notiert Musik, aber es gibt eine Barriere zum Erklingenden
  • Radikale Spaltung zw schreiben und erklingen
  • was haben sie miteinander zu tun? keine rhethorische Frage
  • 4:33 in Scores in 3 Varianten, die dritte ist rein sprachlich

 

Fluxus Event Scores
George Brecht
war 1958/59 in Cages Kompositionsklasse an der New School.
Auf Brecht geht der Begriff Eventscore zurück
Bsp aus dem Jahr 1960: Motor-Vehicle-Sundown [Event]

 

Funktioniert wie ein trad. Score, der das Material und die Umgangsweise definiert.
Später bezieht sich George Brecht mit seinen Scores auf Alltägliches:

 

Suitcase

worin liegt das Event?
funktionieren diese Events wie Ready-mades?

Ready-Made-Event von Brecht als Synthese von Cage und Duchamp
Grüny: «Scores sind in allen diesen Beispielen das Zentrum, um das herum sich die Instanzen der westliche Kunstmusik gruppieren und von denen sie durcheinandergebracht werden.» Erst wird’s in einen musikalischen Kontext eingebracht – Fluxus-Events werden als Konzerte angekündigt – damit wird dieser Kontext aufgebrochen. Verschiebung der Autorschaft ist am deutlichsten.

  • Sind das noch Werke? minimalistische Setzungen
  • Die Realisierung hat wenig mit Interpretation zu tun, Grüny: «die Realisierung geht weit über den Spielraum hinaus, die einy Interprety auch bei den offensten Partituren eingeräumt werden»
  • Interpretation / Realisierung gehört einer anderen Ordnung an als der Score
  • Ina Blom spricht von der «extrem generality of the instruction form(?) event», versus der «extrem specificity of the realisation of the instruction»(3)

Die Events beliebig wiederholbar und in jeder Wiederholung neu und spezifisch. Nach Kevin Concannon ist unsinnig von einem „Reenactment“ zB von Onos Cut Piece zu sprechen, weil ein Score des Stücks existiert (4) . Für die Perf. von Dan Graham hingegen wäre der Begriff zutreffend. Die Fluxus Performances unterscheiden sich von Performances und den Happenings von Allan Kaprow durch ihre beliebige Wiederholbarkeit.
Fluxus Scores sind Teil des Kunstsystem geworden und nicht des Musikbetriebs. Abramovic hat im Rahmen von Six Easy Pieces «Body Pressure» von Bruce Nauman aufgeführt/performed(?). Body Pressure besteht aus einem Score, reenactment ist daher nicht der richtige Begriff – für die anderen Eays Pieces trifft Reenactment zu. Naumans Score ist Teil des Kunstbetriebs, dort allerdings stiefmütterlich behandelt. Weil etwas wie eine «Uraufführung» in diesem Zusammenhang einem verlorengegangenen Original gleichkommt. Ein Original, das es nur als Dokumentation gibt.
Scores sind Teil der Sache, des Werks. Bei Kaprow ist das anders, die Scores sind «just literatur», nichts als Anweisungen. Das Werk ist das Happening. Kaprow macht «programms».

 

La Monte Young

Composition 1960 #7
to be held for a long time
Composition Nr. 7 fokussiert auf ein einziges Klangereignis.

 

Composition Nr. 9
Zeigt eine Linie auf einem Stück Papier.
Ist das eine Anweisung oder eine Zeichnung?
Mit den Augen der Linie folgen?
Interpretiert von Name Jun Paik unter dem Titel Zen for Head

 

Composition 1960 #10
Draw a straight line and follow it.
Composition Nr. 10 ist eine reine Textkomposition,
wo findet da Musik statt?
was heisst es der Linie zu folgen?

 

 

Yoko Ono (Grapefruit)

Voice Piece for Soprano
scream
‹against the wind›
‹against the wall›
‹against the sky›

 

  • Geht in keine Performancesituation auf, wo ist der Ort der Perf. wo schreit man gegen den Wind. Die Perf. wird nicht als Perf. bemerkt, so schnell geht die Handlung vorbei. Exzentrische Handlungen.
  • Erst der Kontext der Aufführung macht die Perf. sichtbar


Fly!

 

Dan Graham
Performer Audience Sequenz, 1975

  • Der Score steht nicht jedem zur Verfügung, Anweisungen für sich als Performer
  • Es ist folglich kein Score
  • könnte einzig durch Appropriation umgesetzt werden

 


Event Scores als Konstellationen

Entspricht einerseits einem trad. Partitur Modell: vom Komponisten erdacht und festgehalten, vom Interpr. sorgfältig aufgeführt, von den Rezipierenden sorgfältig aufgefasst. Aber in die Scores sind versch. Grade an Freiheiten eingeschrieben. So auch philosophische Frage nach dem Ort des Werks. Wo ist das Werk, bildet es eine ideale Entität im Geiste des Schöpfers, liegt das Werk in der Partitur, oder in den Aufführungen – Differenz der Instanzen zu betonen, so Peter Osborne, ist die «distributive Einheit» der postkonzeptuelle Stand der Kunst

Musik als bewegliche mediale Konstellation steht für ein verändertes Verständnis von Musik. Die Verhältnisse der musikalischen Instanzen müssen für jeden Score neu austariert werden, es handelt sich um mediale Konstellationen. Ausgangspunkt ist ein Begriff von Musik als bewegliche mediale Konstellation und nicht, so Greenberg, Musik als reine Medialität.

Wie werden Fluxus Scores gehandhabt? Es gibt einen markanten Unterschied ob im Kontext von Konzeptueller Kunst oder Neue Musik, wo Fragen nach dem Konzeptuellen, der Medien, der Gehalte in der Musik, nach wie vor als Zumutungen von Aussen verstanden und abgewiesen werden mit einem Verweis auf die Natur der Musik, ihre Komplexität, ihre Eigenart ihre Spezifität. Beachte: Konzeptuelle Kunst ist wesentlich aus der Musik beeinflusst worden.
Laurence Weiner: A SQUARE REMOVAL FROM A RUG IN USE – muss nicht aufgeführt werden. Auch Sol Lewitt hat Konzepte für die «Aufführung» von Wandzeichnungen geschrieben. Die Scores werden als Störfaktoren in Praktiken der Bildenden Kunst eingeschleust und verändern das dortige Feld. Musik ist mehr Aneignung und Transformation als Repräsentation gefragt.
Cage bevorzugte Tudor als Interpr, es geht um Kontrollverlust. Komponisty als Künstly. Deskilling chancenlos. Grüny: «Reflektiertheit kann sich auch auf andere Weise zeigen als in technischer Brillanz, hermeneutischer Finesse und der Produktion von Komplexität. Aber es geht nicht nur um Reflektiertheit, die sich da zeigen muss.» Sondern um etwas das auf Vertrauen und Einverständnis und Good-Will basiert. Die 60er Jahre verwandeln den Score in eine offene Frage.

129 Log 230912 writing music
Sybille Krämer: Aspekte einer philosophischen Therie der Schrift

Ringvorlesung
writing music – Zu einer Theorie der musikalischen Schrift
Interdisziplinäre Ringvorlesung am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung, 20.10.2016 (1) 
Universität für Musik und darstellende Kunst
Wien 2016/17

 

Sybille Krämer
Zu einigen Aspekten einer philosophischen Theorie der Schrift

Einführung
Zum Schriftkonzept im Sinne der aufgeschriebenen mündliche Sprache
und zum Potential des Schriftkonzepts

Töne erklingen und verschwinden, wie der sprachliche Laut
Existenz, die im Verschwinden besteht
Aufzeichnung wird entscheidende Technik
ist Schrift sekundär?
sekundär = Defizit

  • Debatte Oralität – Literalität
  • Sprache ist ein System (Elemente und Regeln)
  • die Idee der Systematizität ist eine Projektion der Schrift
  • Schrift ist das verschwiegene Modell für Sprache
  • Skriptizismus
  • Ferdinand de Sausurre (1757–1913, Sprachwissenschaftler): die Bedeutung entsteht aus dem differenziellen Prinzip, vgl auch Gunnar Hindrichs (*1971, Philosoph, Basel): Philosophie der Musik

Grundbaustein der Musik ist der Klang. Klang ist nicht allein bestimmt als etwas Hörbares, sondern auch durch das Verhältnis eines Klanges im System der Klänge, die erklingen, also auch bestimmt durch das, was nicht erklingt
= Systemgedanke, die Basis ist nicht die erklingende Musik, sondern die aufgeschriebene Musik

Frage: welche Bedeutung hat die Tatsache, dass die Musik aufgeschrieben / aufgezeichnet wird? Ist die Schrift etwas Bestimmendes und imprägniert sie die Musik? Braucht die Musikwissenschaft eine Oralitätsdebatte?

Was macht Schrift?

  • Zeit: Sukzession, Gegenwartspunkt an Gegenwartspunkt
  • Zeit wird durch Schrift verräumlicht: das Nacheinander der Zeit wird ein Nebeneinander der Buchstaben, räumliche Linearität
  • Schrift = Anordnungsverfahren, niemals nur Linearität, sondern auch Fläche benutzt = zweidimensional
  • Diskretes Zeichen zerschneidet das Kontinuum, Leerstellen, Lücken, Zweidimensionalität
  • Zwei Zeichen können niemals ineinander übergehen
  • Leerstellen ist ein räumliches Phänomen

Worin liegt die Attraktivität der Schrift, der artifiziellen Flächigkeit?

  • Sonderraum eines zweidimensionalen Raumes, indem alles kontrollierbar wird
  • = Überblick, Vogelflugperspektive
  • In der Partitur nimmt die Musik einen operativen, überblickbaren Raum, es ist zu sehen, was gewesen ist und was kommen wird…
  • Überklang des Klangraums der leiblichen Dreidimensionalität in den Schauraum der artifiziellen Zweidimensionalität, diese Transformation bringt ein neues Potential
  • Schrift ist kreativ, weil man sie auf dem Papier herumschieben kann, umstellen, kopieren, zusammenfassen – abgesehen davon sind Zahlen erst durch die Schrift/Zeichen sichtbar
  • = das Potential der Schrift

Das was Schrift ist und leisten kann in 4 Geschichtspunkte geordnet

– Räumlichkeit
– das Graphische (Graphismus)
– das operative Potential
– Affinität von Schrift und Maschine (Komputer)

Schrift ist vergl. wichtig wie die Erfindung des Rads
wie das Rad für Mobilität der Körperlichkeit steht, so die Schrift/artifizielle Flächigkeit für Mobilität und Kreativität

Räumlichkeit der Schrift

These: die Zweidimensionalität als Denkwerkzeug (Kulturtechnik der Verflachung) ist entscheidend. Aber Oberflächlichkeit wird diskreditiert(?) (Tiefgang ist wichtig). Dabei haben wir den inskribierten Flächen so viel zu verdanken (heute Smartphone!)

  • Wissenschaft und Kunst entstehen aus dem artifiziellen Umgang mit Schattenrissen

– Töpfertochter Butades bannt die Gestalt ihres Liebhabers durch den Schattenriss an die Wand.
– Zeitmessung der Sonnenuhr durch Schattenwurf
– das Höhlengleichnis, für Platon ist der Schatten defizitär
= Schatten verwandeln das Volumen in eine Fläche
Gibt es etwas wie Schatten in der Welt des Auditiven?

Graphismus der Schrift

  • Sprache mache den Menschen aus. Kein Wesen im Tierreich hat der Sprache vergleichbares grammatikalisches, semantisch, syntaktisches Verständigungssystem wie der Mensch
    Es gibt die Signalsprachen des Vokalischen.
  • Es gibt nichts dem Bildermachen/Krizeln/Markieren/Oberflächen analoges
  • Einritzen, auftragen als Disposition ist genauso wichtig wie unsere Sprachlichkeit
  • wir sind zweisprachige Wesen
  • Punkt, Linie, Fläche wirken zusammen als Graphismus
  • Linie hat eine Doppelnatur: 1. Geste der Hand wird abgebildet, sie gibt die Geste in der Zeit als Konfiguration im Raum wieder, sie übersetzt 2. steht die Linie für den freien Entwurf, das den Wahrnehmungskonventionen widerstreitet, solche Objekte kann man nicht herstellen, das gibt’s nur zweidimensional.

Linie = Potential der Abbildung + Potential der freien Kreation / Projizieren von etwas das besteht + den Entwurf, der noch in keiner Weise ein Vorbild hat in der Welt (und ev. nie haben wird)

  • Zu Descartes erster (musik)theoretischen Schrift (compendium musicae, dt Übersetzung erst 1978) eine Art Musikdiagrammatik (Quintenzirkel, unzählige musikalische Diagramme) die ästhetischen Eigenschaften des akustischen Erklingens von Musik werden mit visuellen Eigenschaften erklärt (Intervall Ästhetik: die Proportionalität der konsonanten und dissonanten Tonverhältnissen werden in Linienkonfigurationen überführt, konsonant ^= ganzzahlige Verhältnisse
  • Graphismus ist der gemeinsame Ursprung von Zeichnung und Schrift, zb Kritzeln, ist genauso grundlegend wie Sprechen, ev. wie Musizieren?
  • Beachte: Sprache kann man negieren, das Nein, es gibt kein Äquivalent im Graphismus


Operatives Potential der Schrift
Wenn die Schriftanordung räumlich ist, dann ist eine Zeitachsen Umkehr möglich. Der Mediendenker Kittler hat seinen Medienbegriff an diese Gegenheit gebunden. Für Kittler ist der Körper kein Medium. Der Körper ist der Irreversibilität der Zeit mehr oder weniger unentrinnbar unterworfen.

Auf den artifiziellen Flächen haben wir einen Sonderraum entworfen mit der Option die Irreversibilität der Zeit zu bannen.

Über den Spielbegriff nachdenken: Musik ist ein Spiel, Sprache ist ein Sprachspiel. Über Musik nicht in den Kategorien der Sprache nachdenken, das geht für SK nicht, aber Spiel, ja! Spiel heisst etwas lässt sich hin und her bewegen: Lichtspiel auf dem Wasser, die Schraube hat Spiel. Ohne Ziel. Spielräume. Kein zweckorientiertes Produkt. Die artifizielle Fläche lädt ein zum Spiel, Umkehrbarkeit praktizieren und erfahren.


Das Mechanische der Schrift / Affinität von Schrift und Maschine
Alles was diskretisierbar ist, kann auf eine Maschine übertragen werden.

Als erste Programmiererin gilt Ada Lovelace (1815–1852, Mathematikerin, London) (Berechnung der Bernoulli Zahlen). Sie arbeitete mit Charles Babbage an einer universalen Rechenmaschine. Tiefe Verwandtschaft der Schrift mit dem Tabellarischen und dem Diagrammatischen. Schrift ist mehr als eine lineare Aufzeichnungstechnik, sie ist mit der Zweidimensionalität im Bunde. Tiefe Affinität zwischen Schriftlichen und dem Mechanischen


Schluss
Derridas Grammatologie als Dia(?)-Grammatologie weiterentwickeln/entfalten um das Potential der Schrift aufzudecken.
Vieldimensionales Schriftkonzept, in dem die Schrifttechniken in ein grösseres Ganzes einer Kulturtechnik der Verflachung einordnen, dazu gehören auch Grafen und Diagramme, Karten, Tabellen, dazu gehören auch musikalische Schriften.
Schrift bezieht sich auf verschiedenen Referenzobjekte (Sprache, Zahlen, musikalische Zeichen)

Grafische Notation der NM
Die Schrift des Musikalischen
Wie klangliche Innovation und Medieninnovation zusammengehen
Den Alphabetismus der musikalischen Schrift kritisieren:

  • Earl Brown (Kritik der traditionellen Notation), Vorbild sind die Künste, Brown bezieht sich auf Calder, Jackson Pollock, etc.
  • Joseph Schillinger (Klanggeschehen naturwissenschaftl. verzeichnen, Physik, Koordinatenkreuz, bezieht sich auf Descartes)

Descartes und das Koordinatenkreuz macht das Blatt zu einem adressierbaren Raum, Descartes erfindet die analytische Geometrie, Koordinatenkreuz, vorher seine Musikdiagrammatik, geometrische Formen für das Klanggeschehen)
Die Schrift hat die Eigenschaft das Werk hervorzurufen. Urheberschaft an einem Werk, das nicht verschwindet, das tradierbar wird. Der Werkbegriff ist auf engste Weise verwoben mit der Schrift. Mit der Möglichkeit Musik zu schreiben entsteht der Autorenschaft. Zu archaischen Zeiten hatte Musik hatte keinen Autoren. Literatur entsteht mit Autoren, so auch in der Musik. Für Earl Brown werden die Interpreten zu Mitautoren, es gibt nicht zwei identische (gleichklingende) Aufführungen. Brown Subversion des traditionellen musikalischen Notationssystem ist auch eine Subversion der traditionellen musikalischen Autorschaft.

Mit der Karte navigieren in der Stadt. Die Karte wird aufgeführt, wieder umgesetzt in die 3dim? Ist das vergleichbar der Interpretation der Musiknotation in der Aufführung, eine Umsetzung in die 3.dim.
Zeit ist eindimensional, Lebensraum ist 3dim, die Zweidimensionalität ist eine Übersetzung, ist angesiedelt im Dazwischen, das eine in das andere transformieren, sie ist eine Passage, eine die alles verändert. Das Notenblatt verändert alles, auch unser Hören?Die Zeitumkehr kann gedacht werden, aber aufgeführt?
Es geht um Schriftkonfigurationen.
Rechnen konnten früher nur die Mathematiker, mit dem Dezimalsystem wurde rechnen es allen zugänglich zu einer Alltagstechnik. Es geht um Kontrolle und Kreativität, Überschuss und Disziplin
Intransitiver Spielbegriff: etwas spielt: ein Lächeln auf den Lippen, das Spiel der Lichter auf dem Wasser zum intransitiven Musikbegriff: die Saite bewegt sich, Spiel = das Hin und Her einer Bewegung, die Saite schwingt = Quelle des Schalls/Musik
Im Hin und Her der Schwingung schwingt die Vorstellung der reversiblen Bewegung mit: das Vor und Zurück, als könnte die Zeitachse umgedreht werden.

129 Log 230912 writing music
Assmann: Schrift_Gedächtnis_Musik

Ringvorlesung
writing music – Zu einer Theorie der musikalischen Schrift
Interdisziplinäre Ringvorlesung am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung, 11.10.2016 (5)
Universität für Musik und darstellende Kunst
Wien 2016/17

 

Jan Assman
Schrift. Gedächtnis. Musik

Einführung v. Nikolaus Urbanek
zur Ringvorlesung: Musikalische Schrift / transdisziplinärer Diskurs

  • Abhängigkeit der Schrift von der Rede, Unterordnung unter das gesprochene Wort
  • Schrift = aufgeschriebene Sprache
  • Pendant: musikalische Schrift als aufgeschriebener Klang
  • Schrift als Zeichen für etwas anderes
    unsichtbares, transparentes, transzendentes, neutrales, durchsichtiges Medium zur Archivierung und Kommunikation des präexistenten Klanges
  • Schrift als Medienwechsel: vom gedanklichen Einfall zur Notation auf dem Papier

Frage: ob Schrift tatsächlich immer nur für etwas anderes steht, ob sie nicht ein Medium eigenen Rechts sei.
Was ist ihr Eigensinn?

  • Ihre Materialität: Stoffe und Werkzeuge des Schreibens
  • Notate sind Sichtbar (Flächigkeit, Räumlichkeit, 2dim.): Schriftbildlichkeit
  • Schrift als Werkzeug der Komposition, durch das Schreiben komponieren

Der Schrift eigen sind: Annotationen, Kommentare, korrigieren, verwerfen, löschen, streichen, verschieben, überschreiben. Es geht darum aus den kreativen, brüchigen, innovativen Situationen der Musikgeschichte in denen über musikalische Schrift nachgedacht wurden, für eine Theorie der musikalischen Schrift zu lernen. Aspekte einer Theorie der musikalischen Schrift:

  • Materialität
  • Ikonizität
  • Performativität
  • Operativität

 


250316 Jan Assmann
Schrift–Gedächtnis–Musik, 2020(6)
– Noten als Schrift, Musik als Schriftkultur
– Schriftentstehung und frühe Schriftkulturen
– Kanonbildung in der musikalischen Schriftkultur

  • Noten als Schrift, Musik als Schriftkultur
    (Assmann, 2020:51–53)
    dt. wird von musikalische Noten SCHRIFT gesprochen
    Schriftbegriff, der sowohl Sprachzeichen wie auch andere Zeichensysteme umfasst
    – dem Unsichtbaren Sichtbarkeit verleiht
    – dem Flüchtigen Dauer
    – Verbreitung (vgl Assmann, 2020:51)
    franz. / engl. von Notation: Schrift meint ausschliesslich die Aufzeichnung von Sprache

notieren / aufschreiben → kurze Notate, Kurzzeitgedächtnis, festhalten von etwas Flüchtigem, etwas sichtbar machen (Alltag)
schreiben → grosse Formen (über Jahre hinweg entwickelt/geschrieben), schöpferischer Vorgang, etwas bis dahin Unkommuniziertes kommunizieren, etwas Neues, das einzig durch Schreiben möglich gemacht wird (Assmann, 2020:52). Schreiben verändert die Welt. Schrift heisst Distribution. Assmann sieht darin den Grund für die globale Verbreitung, ja  Vorrangstellung europäischer Musik, ihren Vorbildcharakter, an dem alle teilhaben wollen, im Sinne von Weltmusik (Assmann, 2020:53).

Die Erfindung der Notenschrift im 11. Jh. im Sinne der Notation (siehe oben) als Gedächtnisstütze reicht zurück in die Antike. Im Mittelalter wird Notation zur Komposition. Mehrstimmigkeit, Polyphonie,

  • Schriftentstehung und frühe Schriftkulturen
    (Assmann, 2020:54–59)
    – frühe Schriftkulturen: Mesopotamien, Summerer, Ägypten
    funktionale Schriften:
    – Sprachzeichen als mnemotechnische Zeichen
    – Eigennamen, Sach- und Zahlenwerte
    – Besitz und Abgabeverhältnisse
    – Schrift dient der Buchhaltung
    – politische Repräsentation, Grabkultur, Kult (Assmann, 2020:54)
    – Gültigkeit über die Todesgrenze hinaus (Assmann, 2020:55)
    – Rezitation im Rahmen des Kults: Verwandlung der Toten in unsterbliche Mitglieder der Götterwelt
    – Fixierung des genauen Wortlauts (Mnemotechnik)
    – Pyramidentexte / sich in das Jenseits einschreiben, Namen, Listen, imaginäre Wirklichkeit

Assmann unterscheidet «funktionale» Schrift von Verschriftlichung von Mythen, Erzählungen, Weisheitslehren als kulturelle Schriftlichkeit (Assmann, 2020:57). Diese Schriftlichkeit dient nicht nur der Fixierung, sondern auch der Dynamisierung der Tradition, Schrift ist nicht nur Behelf.

«Die mündliche Überlieferung, die auf Performanz und Mnemotechnik beruht, kennt keine Archive.»

Archiv und Kanonbildung gehören zusammen. Kanonische Texte: zitierfähige Texte, Autorität der Texte, lebensformende Ansprüche der Texte, hat eine Auslegungskultur zur Folge, Verstehen der Texte, Hermeneutik. Kanonbildung zieht Auslagerungen nach sich (Assmann, 2020:58)

  • Kanonbildung in der musikalischen Schriftkultur
    (Assmann, 2020:59–64)
    – Musik als performative Kunst, die Aufführung ist zentral
    – Schrift spielt eine untergeordnete Rolle
    – Repertoire ist entscheidend: Bestand zur Wiederaufführung bestimmter Werke (Assmann, 2020:60) dem Zeitgeist, Mode unterworfen
    – Kanon: Vorbildlichkeit, Verbindlichkeit
    – Funktion des Kanons: didaktisch, alte Meister als Vorbilder → kompositorische Ausbildung / ästhetisch: Analyse, Kritik / werkgeschichtlicher Diskurs / Intertextualität
    – ersetzt das Prinzip Repertoire den Kanon?
    Schrift wird durch CD, DVD in der Funktion als Archives erweitert (Assmann, 2020:61): → schriftlose Musiken (auch Perf!), gilt auch für Filmwissenschaften.
    – Musikaufführende Institutionen: Klöster, Kirchen, Höfe, Schulen, Akademien
    – Musik-Dokumente-Sammlungen → Archive zu Studienzwecken / Musikwissenschaften
    Johann Christoph Pepusch (1667–1752, London, Komponist ua. der ersten Beggar’s Opera)
    Gottfried van Swieten (1733–1803, Leiter der Hofsbibliothek und der Zensurbehörde, Wien).Kanonisierung = Reflexivwerden von Traditionen (Alois Hahn)
    (Assmann, 2020:61)
    – Selbstthematisierungen einer Gruppe oder eines ausdifferenzierten kulturellen System (Religion, Kunst)
    – Rückhalt durch Rückgriff auf eine normative Vergangenheit (Assmann, 2020:62)
    – Der Tradition der Musik fehlte der Bezug zum klassischen Altertum, was der Etablierung der Musikwissenschaften im Weg stand (Assmann, 2020:62), es kommt zu → imaginativen Konstruktionen von kulturellem Gedächtnis (Assmann, 2020:63). So wurden für Monteverdis Opern das Vorbild der antiken Tragödie bemüht, gilt heute als Versuch der «Nobilitierung» der seconda pratica als neuer Stil, deren effektive Wurzeln in der Commedia dell’arte liegen.Kanonbildung → theoretischer und kommentierender musikästhetischer Diskurs
    – Kritik, Diskurs über Kriterien, über Aufgenommenes und Ausgeschlosssenes, über Maßstäbe
    Gründungszweck der Akademien (Assmann, 2020:63)
    – Bsp: 1726 Gründung der London Academy of Vocal Music, später Academy of Ancient Music.
    Georg Friedrich Händel (1685–1759) unterhält ein eigenes Archiv (aus dem er auch zitiert)»Diese Dynamik von Rückgriff und Innovation kann sich nur in einer Schriftkultur entfalten»
    (Assmann, 2020:64)

 


Jan und Aleida Assmann
Kulturelles Gedächtnis
Paradigmawechsel in den Kulturwissenschaften
zum kulturellen Gedächtnis gehören die in «teilweise jahrtausendelanger Wiederholung gehärteten» Texte, Bilder und Riten

 


Jan Assmann: Die Stimme der Hyeroglyphen. Stimme oder Gedächtnig? Die Schrift als Erweiterung der menschlichen Grundaustattung», in: Brigitte Felderer (Hrsg.): Phonorama. (S.23–

082 Log 230221 Neimanis_Bodies of Water

Astrida Neimanis
feministische Kulturtheoretikerin und Associate Professor an der UBC Okanagan für Feminist Environmental Humanities.

«Ihr jüngstes Buch, »Bodies of Water: Posthuman Feminist Phenomenology«, erforscht die gemeinsame wässrige Konstitution menschlicher Körper und allen anderen Lebens auf dem Planeten als Ausgangspunkt für ein Überdenken von Umweltethik, Ästhetik und Gerechtigkeit. Oft im Dialog mit Künstlern und Kunstwerken, war ihre Arbeit kürzlich auf der Shanghai Biennale 2021, der Riga Biennale 2020 und der Lofoten Biennale 2019 zu sehen». ( Zit. n. Sammlung&Archive, Zentrum für Kunst und Medien, ZKM, Karlsruhe )

Astrida Neimanis: „Introduction: Figuring Bodies of Water“ in: Bodies of Water: Posthuman Feminist Phenomenology, London: Bloomsbury Academic 2016, 1-26.
1 Perspective of our bodies` as wet constitution (Neimanis 2016:1)
2 Kritik am westlichen humanist understandings of embodiment: „discrete and coherent individual subjects“, „fundamtentally autonomous“
Auf welchem Hintergrund entstanden „enlightment figures“?
Wer hat gegen die Dogmen der Kirche angeschrie(b)en?
(Neimanis 2016:2)
Leben aus dem Wasser: wie kommt es zur Zellbildung?
Evolution von Einzellern → Mehrzeller
3 Wasserkreislauf: „we have never been (only) human“
4 Wir sind Teil v. Tieren, Gemüse, Planetenkörpern (Neimanis 2016:3)
„challenge to the the three humanist understandings of corporeality: discrete individualism, anthorpocentrism an phallocentrism.“
5 „refiguring of our embodiment“ as a „mostly watery constitution“
„hydrocommons of wet relations“
6 Eine feministische Theorie der Subjektivität (Neimanis 2016:4)
„contemporary feminist and posthuman understandings of agential realism, transcorporeality, and queer temporalities“
7 Jamie Linton spricht von „global water“ – Neimanis von „Anthropocene water“

siehe:
Eduardo Kohn: How forests think, Towards an Anthropology Beyond the Human, University of California Press (2013)

Bodies of water (a genealogy of a figuration) 8–14
8 feministische Theoretiker*Innen

  • Elizabeth Grosz („materiality with incorporeals, potentials, latencies`“) mit Deleuze/Guattari (virtualities of matter + excess over matter) (Neimanis 2016:5)
  • Neimanis bevorzugt „the posthuman feminist understanding of concepts as `figurations`“ und „figurations“ versteht sie als embodied concepts
  • Haraway spricht von „`material-semiotic` knots“ → conceptual power and worldliness
  • Braidotti „living maps“ → „acknowledging „concrete sitated historical positions“ “

9 „who are rethinking bodily matters beyon a humanist imagination“: Liste (Butler fehlt) (Neimanis 2016:6)
Neimanis bezieht sich aber auch auf Merleau-Ponty, Deleuze/Guattari und the French écriture féminine
10 écriture féminine = Luce Irigaray (*1930, belgisch-französische Feministin, Philosophin, Linguistin, Psychoanalytikerin und Kulturtheoretikerin) und Hélène Cixous (*1937, französische Philosophin, Schriftstellerin und Kritikerin)
Kritik an Irigaray (Neimanis 2016:7)
11 Neimanis Ziel: die Zshänge v. écritures féminines und dem ökologischen post-humanen feminismus aufzeigen (Neimanis 2016:8)
12 es gibt viele Feminismen: öko, queer, anticolonial, fem technoscience, black, colour (Neimanis 2016:9)
13 herausgefordert wird: „material implication of pregnancy, lactation and placental relations or though non-reprosexual theories of care, inherent technologization, political solidarity and social reproduction, an ecologically oriented posthuman theory of bodies draw from a deep well of inheritance
Feminist politics of citation (siehe: Gloria Wekker (*1950) gender studies) is about recognizing debts
14 Nemanis versteht sich selbst als “a posthuman feminist”

Posthuman feminism for the Anthropocene (15–21)
15 posthuman – transhuman – super-human (“working to complete the mind-body split” (Neimanis 2016:10)
Asberg und Braidotti argumentieren gegen den die “popular version of posthumanism that desires disembodiment and the overcoming of wordly bodily difference.” Aber weder technophob noch technophobisch (und dem Verständnis des Körper als einer essential dignity)
16 Genealogie des posthumanen feminismus
Feminismus war immer schon Anthropocentrismus und “unitary subj.” kritisch (also posthuman avant la lettre), gilt nicht für alle Positionen des posthuman turn
Zakiyyah Jackson warnt, dass das “beyond the human” zur Transzendenzfalle wird (Neimanis 2016:11)
17 Nemanis “connect to the many subjects of feminism” und versucht von allen zu lernen, die Politik der Citation ist ein vor und zurück
Es geht um eine zutiefst ethische Orientierung, um Beziehung
18 Eugene Stroermer und Paul Crutzen sprechen schon seit den 1980er Jahren von Anthropocene (Neimanis 2016:12ff)
20 die grösste “resistance to feminist modes of thinking”? = OOO
21 Kritik am “we” = Kritik am Universalismus
But: “I is hardly safer”
Robyn Wiegman (Literatur, Gender and Feminist Studies) „to inhabit the error, not to avoid it“
water = waters und nicht per se gesund, sondern auch toxische Wasser etc (Neimanis 2016:15)
Donna Haraway (*1944, amerikanische Feministin, Historikerin der Naturwissenschaften): When Species Meet, Minneapolis: University of Minnesota Press, 2007. → Man kann das Resultat nicht voraussagen (keine Teleologie), aber es gibt «the chance of getting on together with some grace» (Haraway, 2007:15)
Rosi Braidotti (*1954, italienische Philosophin und Feministin): Metamorphoses: Towards a Feminist Theory of Becoming, Cambridge: Polity Press, 2002: → «we are all in this together, but `we` are not all the same, nor are wo all `in this` the same way»

Living with the problem (22­–25)
22 certain resistance within feminism betreffend engagement/work on non-human worlds (Neimanis 2016:15)
23 Anne Phillips (*1950, politische Philosophie, Politikwissenschaften) mit Iris Marion Young (1949–2006, NY, Politikwissenschaften und Gender Studies) und Hannah Arendt (1906 Hannover – 1975 NY, jüdisch-deutsch-amerikanische politische Theoretikerin): Gefahr schwach zu werden bezüglich mensch-politischen Anliegen und struktureller Ungleichheiten – Braidotti auf der anderen Seite: posthumanism sei «effects on scientific and technological advances» und warnt vor der Gefahr vor lauter «vibrant matter» nichts mehr zu tun (Jane Bennett *1957, amerikanische Politikwissenschaftlerin und Philosophin).
Nemanis (mit Alaimo) orientiert sich in der «swirling landscape of uncertainty» (Neimanis 2016:16)
24 Scott (1997) hat «only paradoxes to offer»
Beachte: nach Haraway gibt es einen Zusammenhang zwischen «death of the subject» und dem Auftauchen rassistisch, kolonialisierter, gegendert unterdrückter Stimmen? (Neimanis 2016:18)
25 Neimanis kritisiert Grosz, die sich von Identitätspolitik und dem menschl. subj distanziert. Richtig sei Grosz darin, darüber hinausgehen zu wollen, aber nach Neimanis muss das innen heraus geschehen und nicht neu. Eher ein Reartikulieren und fitting together

zwischenzeitl. 2 x Chomsky zum Ukrainekrieg (1), (2)

Water is what we make it (26–27)
26 verändern was/wie wir über Wasser nachdenken
– Jamie Lintons (siehe Pkt 7): «modern water» ist mehr als die chemische Formel (diese ist selbst ein Produkt hegemonischer Ideen/Institutionen). Wasser ist alles, was mit Wasser zusammengeht (Verschmutzung, Umleitung, Austrocknung) (Neimanis 2016:19)
27 Neimanis stellt sich der Idee des modernen Wasser entgegen (?), weil es nicht darum geht, dass Wasser «da draussen» ist. Wasser ist, was wir machen PLUS – ade naiver Konstruktivismus – Wasser ist auch, was uns macht. (Neimanis 2016:20)

The possibility of posthuman phenomenology (28–
28 liquid situation 
Zygmunt Bauman (*1925–2017, polnisch-britischer soziologe und Philosoph): Liquid Love: On the Frailty of Human Bonds, Cambridge: Polity Press, 2003.
Irigaray, Luce: «The “Mechanics” of Fluids», in: This Sex Which Is Not One, trans. C. Porter and C. Burke, 1985
Neimanis unterscheidet sich in zwei Punkten: 1. Wasser ist nicht nur flüssig, wässeriges Milieu, vom Wasser lernen, 2. wie Wasser reist, transformiert sich (Neimanis 2016:22)
29 nautral-cultural, multispecific ethnographies und interdisciplinäre Fallstudien
30 Neimanis schlägt eine posthumane Phänomenologie vor (Neimanis 2016:23) Phänomenologie steht sometimes antithetisch zum posthumanen, materialistischen Verständnis von Materie, also ein Widerspruch zu Neimanis Selbstverständnis als posthumane feministin?
Körper posthuman verstehen mit Deleuze und Guattari

230224
Anruf Andrea: Lesestoff
Zwischenhalt zu: Deleuze/Guattari, Phänomenlogie

Gilles Deleuze (1925–1995) französischer Philosoph
– Nicht Teil der Nachkrieg-Trends: Phänomenologie und Poststrukturalismus
– Freundschaft mit Michel Foucault → zs. Nietzsche Gesamtausgabe
– 1968 Dissertation: Differenz und Wiederholung_Spinoza und das Problem des Ausdrucks in der Philosophie
– Refl. der Studentenrevolte
1- 970er zs mit Guattari (1930–1992): Kapitalismus und Schizophrenie I und II.
Gilbert Simondon (1924–1989) französischer Philooph hat auf seine Technikphilosophie Einfluss
– Kritik am Essentialismus (vgl. Spinoza, Nietzsche)
Was steht an dessen Stelle? Die Totalität von Allem

  • Nexus, Orte der Virtualitäten, Unvollkommenheit
  • Gegen Faschismus und Kapitalismus
  • Anti-Hegelianisch: nicht Dialektik, sondern Differenz
  • Dauer (Bergson) bringt Körperzeit hervor, der ohne Anstoß von außen Differenz hervorbringt
  • Begriffe sind nicht Ideen (Hegel), sondern entstehen an Bruchstellen zw. Gegenständen, diese ermöglichen Veränderung und Durchdringung
  • Affirmation (nicht Negation vgl. Hegel)
  • Anti-Oedipus (Kapitalismus und Schizophrenie Band I) = Kritik an Lacan und Freund und also der Psychoanalyse, die die kapitalistischen Unterdrückungsstrukturen (phallogischen Strukturen) aufrechterhält, wohingegen für Deleuze und Guattari das Unbewusste eine „Wunschmaschine“ ist, die nicht sprachlich strukturiert ist. Das Subjekt ist nicht durch Mangel geprägt, sondern durch den (positiven) Wunsch
  • Tausend Plateaus (Kapitalismus und Schizophrenie Band II) = radikale Kritik des Rationalismus (Hegel) – sie propagieren: Heterogenität, nomadische Wissenschaften, organlose Körper, Rhizom (Hypertext-Netzwerke)
  • Assoziative Schreibverfahren
  • Deleuze und Kino (Montageverfahren)

230225 ZOOM mit Andrea
Mit posthum.feminism über embodiment nachdenken
Über die Rückkehr des Körpers in der Musik
Figurationen, Assemblagen, material-semiotische knots
Finden sich in den Tonband-Werke Anzeichen / Messengers kommender Figurationen?
(Stimm-)Tonbandwerke fluide Aspekte?

230306
Körper/MUWI
Grüny, Christian (Hrsg): „Auge und Hand – Ohr und Stimme? Künstlerisches Handeln als Artikulation der Sinnlichkeit“, in Ränder der Darstellung – Leiblichkeit in den Künsten, …..S. 29-48,

Christian Grüny nimmt Konrad Fiedlers These einer Artikulation der visuellen Welt durch die Malerei zum Ausgangspunkt, um nach einer analogen Bewegung im Falle der Musik zu fragen. Die malende Ausdrucksbewegung der Hand setzt für Fiedler die Gestaltung des Gesehenen im Auge fort und vollendet sie, und Entsprechendes könnte für Stimme und Ohr angenommen werden. Die Stimme als nicht mit sich zusammenfallende Reflexivität umschreibt eine Leiblichkeit, die mit dem späten Merleau-Ponty eher prozesshaft zu denken ist als im Sinne einer Entität. Die Musik müsste von hier aus als Artikulation ihrer eigenen Vorgeschichte, als Gestaltung elementarer kommunikativer und affektiv- kognitiver Formen verstanden werden und weniger als Vollendung der hörbaren Umgebung.

Grüny: Kunst des Übergangs: philosophische Konstellationen zur Musik, Weilerswist : Velbrück Wissenschaft, 2014.
2.UG (frei zugänglich) ; HQ 38633
Grüny: Die Schrift des Ephemeren : Konzepte musikalischer Notationen, Basel : Schwabe Verlag
2.UG (frei zugänglich) ; 2017 B 10392

Hiekel: Body sounds : Aspekte des körperlichen in der Musik der Gegenwart Mainz : Schott, 20172.UG (frei zugänglich) ; 2018 A 10449

ff Neimanis
30 posthuman.fem. bietet interpermeating Zugänge zum Körper als ein biologischer, chemischer, technologischer, soziale, politischer und ethischer Körper – including bodies of water  vgl. Deleuze/Guattari und mit Husserl vom «Ding an sich» zum «Ding wie es erfahren wird». (Neimanis 2016:24)
31 Für Neimanis ist es wichtig mit Merleau-Ponty davon zu sprechen: nicht einen Körper zu haben, sondern ein Körper zu sein. Zurück zu den Dingen selbst zu gehen, ist unausweichlich mit Verkörperung verbunden.
Neimanis fragt wie Körper die trad.Kategorien (Gebundenheit, Materialität, individuality und subjectivity) transgressieren. (Neimanis 2016:25)
32 Phänomenlogische Praxis ist für N: «deep description and knowledge-creation through an amplification of multimodal and posthuman embodiment
33 «bodies exceed these strictures, both conceptually and materially»
34 Dem Feminismus schuldet diese Sichtweise zusätzlich «situated knowledge» und eingestimmt «attunement to difference», das ist wichtig und mit Adrienne Rich’s politics of location verbunden

230330
Chapter 1
Embodying Water: Feminist Phenomenology for Posthuman Worlds
A posthuman politics of location
«We» sagen ist schwierig «We are the watery world» (Neimanis 2016:27)
Wasser in der Mehrzahl, allein schon die versch. intra- und extracelluar fluids, vergl auch die antiken Konzepte von schwarzer, gelber Galle, von Blut und Phlegma(?)(Neimanis 2016:28)
Wasser bildet pools and puddles «They seek conflunce.» (Neimanis 2016:29)
Frage ist: «what ‘a body’ is», eine Frage der «politics of location»: wo ist der Körper, wann, warum, wozu, dank wem?

MEMBRAN
und immer wieder «feminist politics of citation: an acknowledgment of theoretical debts as an ethical practice» (Neimanis 2016:30)
Es geht darum ein Körper zu sein (nicht einen zu haben), um «watery embodiment», um «a deep attentiveness to the ways in which I am embodied, and to how this corporeality matters in/as the world.»
zu dem, was die Phänomenologie «the natural attitude» nennt: es geht um die Frage gibt es etwas wie Bezug zu den Erscheinungen des everyday life, sozusagen eine unverstellte Sicht auf die Dinge a «natural attitude». Das kann heute nicht mehr möglich so formuliert werden. Zwar ist es nach wie vor wichtig zu wissen mit welchen Voraussetzungen/Annahmen man die Welt interpretiert, aber diese sind weit davon entfernt als «natural attitude» missverstanden zu werden. Neimanis: «we need a different kind of phenomenology – one that can divest itself from some of its implied and explicit humanist commitments» (Neimanis 2016:31)

230329 ZOOM mit Andrea
Wie hängt Neimanis mit Schreiben mit Stimmen zusammen?

  • Fähigkeiten und Potentiale der Frauen in diesem Feld
  • citational feminism
  • Zur Webseite: im Impressum müssen Hinweise zu Urheberrecht platziert werden
  • Wo ist die künstlerische Arbeit?, diese müsste auch sichtbar werden
  • nicht nur die Kategorie Logbuch
  • Logbuch ist Prozessarbeit
  • Künst. und Texte sind nicht prozesshaft

Milky ways: Tracing posthuman feminism
Zur Person von Adrienne Rich und zu reproduktive politics und zu breastfeeding
Mehr dazu auch von Toni Morrison und Greta Gaard publiziert (Neimanis 2016:32)
breastfeeding als Bsp für transcorporeality (Neimanis 2016:33)
Donna Haraway: natureculture (Neimanis 2016:34)
Wilson: unser verkörpertes Wissen ist ein organisches Wissen: ist digestively, neuronal, kulturell kennt keine «’originary demarcation’ between these kinds of orangic knowledges»
es ist ein «co-worlding»: kollaborativ, emergent
denaturalization of the separation between matter and meaning
→ist posthumanismus apolitisch?
→ dies ist eine Frage der «flachen Ethik», «flachen Ontologien»
environmental justice (Verschmutzung der Reservate durch General Motors) (Neimanis 2016:35)
Body burden (wie in der Nahrungskette die toxischen Substanzen weitergereicht werden) (Neimanis 2016:36)
«Posthuman feminism amplifies the politics of location that Rich and Lorde and others already elaborated»
Aber es geht über die Kategorien-Denken hinaus («women»), es geht zu spezifischen Körpern, lokalen, materialisierten Körpern und wiederum über diese hinaus in die post-kolonialistischen Wetterlagen. Zeit(en) werden durcheinandergebracht
Michelle Murphy (2013): «`In temporal terms`, she writes, `latency names the wait for the effects of the past to arrive in the present…[it] names the wait for the effects of the past to arrive in the present… [it] names how the past becomes reactivated. Through latency the future is already altered`.”
“For a posthuman feminism, embodiment is therefore not just about more biologically robust detail. It is about paying attention to the complication of scale, where a familiar deictics of `here` and `there`, `mine` and `ours`, even `local` and global`, or `now` and `then`, which might have once seemed relatively securable, are now queerly torqued. Time, place, and bodies are all caught in the warp and woof of planetary colonialities that are naturalcultural and diffracted, but still radicalized and gendered, all the same.” (Neimanis 2016:37)
wir sind verantwortlich “for this `ever-changing landscape of continuous interplay, interaction, emergence, and risk`” (Alaimo 2010:21) (Neimanis 2016:38)
“I am here, and now, and at least three billion years old, and already becoming something else.” (Neimanis 2016:39)
They [industrially produced chemicals] persist across generations, forward and back, while the transcorporel lineaments of accumulation and distribution mean there is no place or time of pure refuge.” (Neimanis 2016:40)

How to think (about) a body of water: Posthuman phenomenology between Merleau-Ponty and Deleuze
der Mensch – ein Hülle aus Haut (skin sac – Hautsack) – ist: (Neimanis 2016:41)

  • distributed
  • inherited
  • gestational
  • differentiated
  • transcorporeality
  • natureculture
  • amphimix
  • co-worlding
  • politics of location and collectivity
  • empodied concepts

Körperkonzepte

  • embodied
  • Körper aus Wasser versus bounded materiality/subjectivity

CdG → Husserl
Phänomenologie is “a matter of describing, not of explaining or analyzing” (Merleau-Ponty 1962:viii)

230424

hope that phenomenology, as attunement, listening, and observation might somewhat temper all the language of agency and acting that infuses much new materialist writing, feminist and otherwise (for sometimes our bodies are quieter than all that). Neimanis 2016:42)
Elizabeth Grosz (1994), Margrit Shildrick (1997), Gail Weiss (1999), Rosalind Diprose (2002), Lisa Guenther (2006), and Sara Ahmed ( 2000 ; 2006 ) (Neimanis 2016:43)
UND
This feminist phenomenological work articulates with the posthuman understandings of material, interconnected body-subjects I described earlier, traced through the work of Adrienne Rich and Audre Lorde into more contemporary thinkers such as Karen Barad, Elizabeth A. Wilson, Nancy Tuana, Mel Y. Chen, and Stacy Alaimo.

Merleau-Ponty
offers a ‘radical revision of the body’s ontological sense’ (Barbaras 2004 : xxiii) […] a body that emerges from various debts and connections to other bodies, whereby bodies are always chiasmically entwined with the world.
For Merleau-Ponty, corporeal existence is central: going ‘back to the things themselves’ is necessarily an embodied undertaking […] the body is not something we ‘have’ (‘the body is not an object’ [Merleau-Ponty 1962: 198]), but is rather something we inescapably are. We only have a world because we live as bodies that know the world as an extension of the body’s ways of being (‘we are in the world through our body’ [203]). Merleau-Ponty is thus not only a helpful source (Neimanis 2016:44)
for developing a posthuman understanding of corporeality, but also off ers a method for getting back to the body through the resources of our bodies and their various kinds of experiential knowledges.

Deleuze
Deleuze’s work does not refuse a feminist politics of location, but neither does it do much to cultivate one
In Deleuzian rhizomatics, a ‘body’ is not defi ned by notions of liberal humanism but rather
refers to any metastable entity that has a threshold of endurance, beyond which it ceases to be.
bodies are congeries of all kinds of physical, material, cultural, and semiotic forces, and how they become is more interesting than what they are.
Deleuze is critical of the phenomenological tradition generally and Merleau-Ponty in particular for
being too humanist, where meaning only emanates from a human vantage point. Immanence here can only ever be immanence to a subject.
[…] if consciousness is embodiment (Merleau-Ponty) and embodiment is more-than-human (Deleuze, feminist posthumanism, and – as I will argue – Merleau-Ponty), then we can also access and live a world that exceeds the bounds of a comfortably human-scaled experience (Neimanis 2016:45)
Deleuzian rhizomatics is critical of the metaphysical tradition of individualistic humanism, and of a human subject whose perspective is totalizing. Yet, Deleuze nonetheless acknowledges human subjectivity as one expression, or one capture, of bodies. In Deleuzian rhizomatics, a body
is defined primarily by what it ‘can do’ and what can be done to it, while still maintaining the body’s metastability as a whole.
humans are humans because of what, in the most generalized sense, they can do, how they
endure, and what it takes to kill them (or dissolve them, to be recomposed as something else)
Another key to Deleuzian thinking on bodies is the fact that these thresholds are determined by myriad forces, which include the ‘molar’sedimenting processes of subjectivization. Molar subjects (or the body as a
whole, the spatial or temporal aggregate) are forged from and stabilized by social, political, cultural, biological, physical, historical, and other kinds of flows. (Neimanis 2016:46)
Bodies demand both processes of deterritorialization and reterritorialization (1987: 57–59, 211).

Body without Organs (BwO)
https://de.wikipedia.org/wiki/Organloser_K%C3%B6rper

Deleuze virtuality (Neimanis 2016:47)
Bodies, as in part virtual, are also extensive through time. Virtuality, in Deleuze’s terms, is that
‘indeterminate cloud’ that surrounds and coexists with actualized bodies

Merleau-Ponty, the body has a tendency towards organization. […] various bodily modalities ( 1962 : 317) – cognitive, aff ective, motor, and perceptual. (Neimanis 2016:48)
watery embodiment is something we live, and as such, it is also something that can be accessed, amplified, and described. (Neimanis 2016:49)

Bsp indeterminate Cloud
Chris hat A u.a. für ihren Abschluss nach Hamburg eingeladen ein Kunstwerk für sie zu machen

  • Flimmerhärchenprinzip
  • Flirt
  • Versprechen machen
  • Wer schlägt ein, wer setzt die Versprechen um?
  • Potentialität
  • Theorie / Dramaturgie(?)/ Hintergrund ist wichtig

230615
How to think (as) a body of water: Access, amplify, describe! S.49–62.
Wie wässerig sind wir? (Neimanis 2016:49)
Angst → Das Subjekt verliert Kontrolle über: Tränen, Urin, Scheisse
Durst, Speichel (Neimanis 2016:50)

Merleau-Ponty und die «proximal distance of things» (Neimanis 2016:51)
Gibt es nach Merleau-Ponty eine phänomenologisch wirksame Distanz, um mit der Essenz der Dinge in Kontakt zu treten?
Neimanis denkt das räumlich veranschlagte Konzept in einer zeitlichen Dimension weiter, nur so gelingt das Tuning in eine more-than-human Welt

  • Stichwort: Synchronizitäten
  • Auch intergenereationality

Wasser existiert seit Billionen von Jahren (Neimanis 2016:52)

  • Bsp: Masaru Emoto (Photograph), Karen Barad, Elizabeth Povinelli (Australia)

question of the virtual (Deleuze) und seiner Aktualisierungen, als das Unbekannte, das mit der Verkörperung und dessen Potential zusammengeht (Neimanis 2016:53)

  • open-closed system such as water
  • nicht hadern mit der Deleuzsche Terminologie
  • es geht um gelebte Verkörperung
  • die human-Komfort-Zone ausdehnen, sowohl räuml. wie zeitl.
  • Entscheidend: embodied attunement

Herbert Spiegelberg: „phenomenological intuiting“ (Neimanis 2016:54)
In der gelebten Erfahrung, concentrated on the thing, und doch kritisch

  • = bodily hermeneutik (Samuel Mallin, 1996)

Diese Geschichten / proxy stories, human-scale perspectives (Neimanis 2016:55)

  • = amplifiers, zB art!
  • sensitizers

wie geht das mit den Naturwissenschaften zs? (Neimanis 2016:56)

  • wichtig sind „syncretic assemblages of knowledge“ Alaimo (2010: 19)

Technologien und Wissenschaften in unserer sphere of experience beeinträchtigen unsere eigene körperliche Erfahrung, es braucht ein shifting (Neimanis 2016:59)

  • die Information aus diesen Bereichen amplify und extend the human-scale und rekonfigueriert was „embodiment“ heisst, hin zu einer posthuman corporeality.
  • Scientific accounts dehnen oder stauchen the human proximal relation

S60 Alles in allem sehr positiv gegenüber wissenschaftlichen Daten, denn auch sie sind das Resultat von Verkörperungsprozessen.

  • Doch Neimanis ist wissenschaftskritisch
  • Während Merleau-Ponty die Phänomenologie von der Empirik der Wissenschaft und ihrem Anspruch an absoluten und unambiguous truth unterscheiden will, kritisiert Neimanis deren falschen Objektivismus, ihr falsches Selbstverständnis als „neutrale“ Wissenschaften

Neimanis verweist auf Elizabeth A. Wilson (2015), die sich für ein „rendering“ der (Neimanis 2016:61)
Wissenschaften ausspricht.

  • Donna Harraway: alles Wissen ist mediated: „We only know the world through the mediation of prosthetics“ „This holds for all sensory apparatuses“
  • „‘things‘ are co–worldings“

Zusammenfassung: die posthuman Phänomenologie gründet sich auf zwei Dingen (Neimanis 2016:62)

  • Wahrnehmung ist mediated, „back to the things themselves“ geht nur prosthetisch
  • Nicht ohne embeddedness of bodies, the situatedness of the practitioner, Spuren der Verortung immer aufzeigen/aufzeichnen

„A feminist posthuman phenomenological method must insist on describing the (social, morphological, cultural, biological, structural, imaginative) conditions that enable certain experiences for some bodies, but foreclose others for other ones. To do so, we begin with our (situated, posthuman) bodies. Recall Rich’s imperative: begin with the material; describe the geography closest in.
Not only do we require the syncretic assemblages of science to find our posthuman phenomenological bearings, we also need to attune ourselves critically to the differences of bodies that together world our planetary hydrocommons. The kind of posthuman phenomenology I am advocating must be committed to feminist, but also anticolonial, anti-racist, queer, and crip futures. Even – especially – as our bodies molecularize and destratify, and defy and interrupt our sense of coherently bounded self, the flows of power and restratification are hardly washed away.“

 

 

 

078 Logbuch 230213
Mara Mills: künstliche Kehlköpfe

Mara Mills: „Medien und Prothesen. Über den künstlichen Kehlkopf und den Vocoder“, in: Hrsg. Daniel Gethmann: Klangmaschinen zwischen Experiment und Medientechnik, Bielefeld: transcript Verlag, 2010, S.127–152.


Stimmcodierung
Pedro the Voder spricht 1939  (Mills 2010:127)
AT&T Technologie überträgt ein rein synthetisches Sprachsignal
Die Sätze wurden aus einer Kombination von Lauten gebildet
Der Voder sieht aus wie eine Heimorgel und wird von einer Voderette gespielt (Mills 2010:128/29)

Voder
Considered the first electrical speech synthesizer, VODER (Voice Operation DEmonstratoR) was developed by Homer Dudley at Bell Labs and demonstrated at both the 1939 New York World’s Fair and the 1939 Golden Gate International Exposition. Difficult to use and difficult to operate, VODER nonetheless paved the way for future machine-generated speech.
Voderette
namenlos, «hörender» Blick, später sieht ihr die Kamera über die Schulter, die Voderette ohne Gesicht, nur die Hände sind noch zu sehen.

Der Voder als beispielhafte posthumane Technologie
Kay Dickinson„`Believe`?: vocoder, digitalized female indentity and camp“ in: Popoular Music 20, 3 (2001), (Mills 2010:129 und 333-347).

Vocoder
Sonja Diesterhöft: Meyer-Eppeler und der Vocoder, TU Berlin
WS 2003/04, Seminar Klanganalyse und -synthese.

Der Vocoder (VOicCoder) 1927 (Mills 2010:131)
Von Homer Dudley für die transatlantische Transmission von Signalen entwickelt

  • Geschichte der Sprechmaschinen und der künstlichen Kehlköpfe
  • Gesprochene Sprache hat eine eigene Materialität jenseits des Alphabets
  • Der Sprechakt gliedert sich in die Vorgänge im Kehlkopf und im Ansatzrohr
  • Bewegung der Sprechwerkzeuge = Modulationseffekte (Mills 2010:32)
  • Verfahren zur Simulation von laryngalen Schwingungen mittels elektronischer Schaltungen

Marshall McLuhan

  • Medien erweitern oder simulieren das menschliche Wesen
  • Prothetik oder Selbstamputation

Begriff der Prothese ist problematisch → Disability Studies (Mills 2010:133/50)

  • Denn es handelt sich nicht immer um eine „helfende“ Technik
  • Der wohltätige Ursprungsmythos ist problematisch
  • Schwer zu entscheiden, ob daraus Verletzungen oder eine Befreiung resultieren (Mills 2010:134)
  • Beachte die Etymologie der Wortes Prothese (S150)

John Durham Peters spricht von Medien als von psychotechnischen Praktiken, als angewandte Physiologie (→ „Helmholz und Edison. Zur Endlichkeit der Stimme“ in: Rauschen und Offenbarung)

 

Sprachmodelle und Modulation

  • die Übertragung von elektrischer Energie reicht nicht aus, um Kommunikation sicher zu stellen.
  • Signalverarbeitung wird eine eigene Disziplin (Mills 2010:135/40)

Hist. Kempelen u.a.

  • Bedeutung des Ansatzrohrs (Mills 2010:137)
  • Geschichte der Gehörlosenschulen: Abbé Charles-Michel de l’Épee de Paris
  • Auch Kratzenstein geht anscheinend von Wissen über Gehörlosigkeit aus! (1779) (Mills 2010:138)
  • Charles Wheatsstone 1837 ( Formanten)
  • Helmholtz Stimmgabeln

 

Analogien elektronischer Instr. und Stimmorgane
Der Vocoder ist 1935 funktionstüchtig (Mills 2010:140)
→ Telephonstimme aus 10 Frequenzbändern
Alle wichtigsten Elemente des Vokalsystems besitzen elektronische Entsprechungen
Problematisch bleibt die Tonhöhe, die „Natürlichkeit“ der Stimme (Mills 2010:141)

Geschichte der künstlichen Kehlköpfe

  • Unabhängigkeit des Kehlkopfs von den Artikulatoren
  • Beginnt 1925 in den AT&T Labs
  • Im 19.Jh wird für die Stimmsynthese Rohrblätter aus Elfenbein, Horn, Silber und Bambus verwendet, das führt zu einem schrillen, piepsigen Klang (Mills 2010:142)
  • Modell von Mackenty, Riesz, Flecher, Lane, Wegel: Western-Electric 1-A, um 1929 und weitere Entwicklungen (Mills 2010:143-47)

Stimme / Metapher der Stummheit / Monotonie
Der Begriff der Stummheit (Mills 2010:148)
„Stumm war zu dieser Zeit ein umfassender Begriff, der sowohl auf Automaten wie auch auf Stummheit und „Dummheit“ der Menschen zu beziehen war. Wie im Falle des Begriffs „Speiseaufzug“ (engl. dumb-waiter) wurde das Wort auch „auf mechanische Vorrichtungen angewendet, die den Platz eines menschlichen Akteurs einnehmen.“
1944 war die Monotonie der mechanischen Stimmen das nachhaltigste Problem

Ingenieure und Historiker der Kryptologie sprechen vom Vocoder als der ersten Anwendung der Pulse-Code-Modulation (PCM) (Mills 2010:149)
Der Vocoder enthält das Kernprinzip der Digitalisierung: die Übertragung von Parametern

  • Folge von Analogiebildungen der menschl. Stimme: erst sind es mechanische Modelle, gefolgt von elektronischen Oszillatoren und Filter, gefolgt von digitalen Codes
  • Die Materialisierung verläuft über die Trennung von Kehlkopf und Modulatoren, die Übertragung von Sprache auf Holz und Gummi zur digitalen „Beschreibung,“ um mit minimalsten Anforderungen gesprochene Sprache hervorzubringen (Mills 2010:150)

Die Vorstellung von „Körper“ wird in das digitale Signal eingebaut und produziert darum körperliche Effekte

Vgl. Kommentar von Dufrêne zu Chopin
Chopin zielt nicht auf die “körperlichen Effekte” (Übertragung) von Stimmaufanhmen im Gegensatz zu Dufrêne