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Christian Grüny:
Scores zwischen Aufbruch und Normalisierung
→ Interdisziplinäre Ringvorlesung am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung, Wien, 3.11.2016 (1)
Grünys Vortrag fokussiert auf sprachbasierte Notationen, die von Karkoschka (2) , nur stiefmütterlich behandelt werden. Es geht um die Partitur, als Instanz der präzisen Fixierung der Vielstimmingkeit. Grünys Vortrag bezieht sich auf «Scores», weil es mehr um eine wie auch immer geartete künstlerische Präskription bezieht. Das Ziel des Vortrags kann nicht eine abgeschlossene Theorie der musikalischen Notation sein.
- Unterschiedliche Konstellationen, die in die Notation eingetragen werden
- Konstellationen von Konzeption, Interpretation und Rezeption
- Stichworte: Interdisziplinarität, Heterogenität
- Wozu Notation? um komplexere Musik aufzubauen, zu bewahren und zu vermitteln, eine Begrenztheit der Perspektive
- es geht die Notation als Medium der Vermittlung zw. musikalischer Struktur und ihrer Verkörperung und entscheidend: um Komplexität
Partituren werden immer wieder neu interpretiert, Notentreue – für die musikalische Grafik gilt das nur begrenzt. Zentrale Figur ist John Cage, der mit dem Artikel Experimental Music: Doctrine eine grosse Distanz zur alteuropäischen Musiktradition markiert. Cage stellt die Frage, was composing, performing und listening miteinander zu tun haben. “Die Partitur ist der Knotenpunkt dieser Verschiebungen und der Ort, wo sie bearbeitet werden.”
1950: Cage, Feldman, Brown, Wolff
erste offenen Partituren – grafische Notationen
- was wird festgelegt?
- nicht nur Vorgaben für klangliche Strukturen
- Cage notiert Musik, aber es gibt eine Barriere zum Erklingenden
- Radikale Spaltung zw schreiben und erklingen
- was haben sie miteinander zu tun? keine rhethorische Frage
- 4:33 in Scores in 3 Varianten, die dritte ist rein sprachlich
Fluxus Event Scores
George Brecht
war 1958/59 in Cages Kompositionsklasse an der New School.
Auf Brecht geht der Begriff Eventscore zurück
Bsp aus dem Jahr 1960: Motor-Vehicle-Sundown [Event]
Funktioniert wie ein trad. Score, der das Material und die Umgangsweise definiert.
Später bezieht sich George Brecht mit seinen Scores auf Alltägliches:
Suitcase
worin liegt das Event?
funktionieren diese Events wie Ready-mades?
Ready-Made-Event von Brecht als Synthese von Cage und Duchamp
Grüny: «Scores sind in allen diesen Beispielen das Zentrum, um das herum sich die Instanzen der westliche Kunstmusik gruppieren und von denen sie durcheinandergebracht werden.» Erst wird’s in einen musikalischen Kontext eingebracht – Fluxus-Events werden als Konzerte angekündigt – damit wird dieser Kontext aufgebrochen. Verschiebung der Autorschaft ist am deutlichsten.
- Sind das noch Werke? minimalistische Setzungen
- Die Realisierung hat wenig mit Interpretation zu tun, Grüny: «die Realisierung geht weit über den Spielraum hinaus, die einy Interprety auch bei den offensten Partituren eingeräumt werden»
- Interpretation / Realisierung gehört einer anderen Ordnung an als der Score
- Ina Blom spricht von der «extrem generality of the instruction form(?) event», versus der «extrem specificity of the realisation of the instruction»(3)
Die Events beliebig wiederholbar und in jeder Wiederholung neu und spezifisch. Nach Kevin Concannon ist unsinnig von einem „Reenactment“ zB von Onos Cut Piece zu sprechen, weil ein Score des Stücks existiert (4) . Für die Perf. von Dan Graham hingegen wäre der Begriff zutreffend. Die Fluxus Performances unterscheiden sich von Performances und den Happenings von Allan Kaprow durch ihre beliebige Wiederholbarkeit.
Fluxus Scores sind Teil des Kunstsystem geworden und nicht des Musikbetriebs. Abramovic hat im Rahmen von Six Easy Pieces «Body Pressure» von Bruce Nauman aufgeführt/performed(?). Body Pressure besteht aus einem Score, reenactment ist daher nicht der richtige Begriff – für die anderen Eays Pieces trifft Reenactment zu. Naumans Score ist Teil des Kunstbetriebs, dort allerdings stiefmütterlich behandelt. Weil etwas wie eine «Uraufführung» in diesem Zusammenhang einem verlorengegangenen Original gleichkommt. Ein Original, das es nur als Dokumentation gibt.
Scores sind Teil der Sache, des Werks. Bei Kaprow ist das anders, die Scores sind «just literatur», nichts als Anweisungen. Das Werk ist das Happening. Kaprow macht «programms».
La Monte Young
Composition 1960 #7
to be held for a long time
Composition Nr. 7 fokussiert auf ein einziges Klangereignis.
Composition Nr. 9
Zeigt eine Linie auf einem Stück Papier.
Ist das eine Anweisung oder eine Zeichnung?
Mit den Augen der Linie folgen?
Interpretiert von Name Jun Paik unter dem Titel Zen for Head
Composition 1960 #10
Draw a straight line and follow it.
Composition Nr. 10 ist eine reine Textkomposition,
wo findet da Musik statt?
was heisst es der Linie zu folgen?
Yoko Ono (Grapefruit)
Voice Piece for Soprano
scream
‹against the wind›
‹against the wall›
‹against the sky›
- Geht in keine Performancesituation auf, wo ist der Ort der Perf. wo schreit man gegen den Wind. Die Perf. wird nicht als Perf. bemerkt, so schnell geht die Handlung vorbei. Exzentrische Handlungen.
- Erst der Kontext der Aufführung macht die Perf. sichtbar
Fly!
Dan Graham
Performer Audience Sequenz, 1975
- Der Score steht nicht jedem zur Verfügung, Anweisungen für sich als Performer
- Es ist folglich kein Score
- könnte einzig durch Appropriation umgesetzt werden
Event Scores als Konstellationen
Entspricht einerseits einem trad. Partitur Modell: vom Komponisten erdacht und festgehalten, vom Interpr. sorgfältig aufgeführt, von den Rezipierenden sorgfältig aufgefasst. Aber in die Scores sind versch. Grade an Freiheiten eingeschrieben. So auch philosophische Frage nach dem Ort des Werks. Wo ist das Werk, bildet es eine ideale Entität im Geiste des Schöpfers, liegt das Werk in der Partitur, oder in den Aufführungen – Differenz der Instanzen zu betonen, so Peter Osborne, ist die «distributive Einheit» der postkonzeptuelle Stand der Kunst
Musik als bewegliche mediale Konstellation steht für ein verändertes Verständnis von Musik. Die Verhältnisse der musikalischen Instanzen müssen für jeden Score neu austariert werden, es handelt sich um mediale Konstellationen. Ausgangspunkt ist ein Begriff von Musik als bewegliche mediale Konstellation und nicht, so Greenberg, Musik als reine Medialität.
Wie werden Fluxus Scores gehandhabt? Es gibt einen markanten Unterschied ob im Kontext von Konzeptueller Kunst oder Neue Musik, wo Fragen nach dem Konzeptuellen, der Medien, der Gehalte in der Musik, nach wie vor als Zumutungen von Aussen verstanden und abgewiesen werden mit einem Verweis auf die Natur der Musik, ihre Komplexität, ihre Eigenart ihre Spezifität. Beachte: Konzeptuelle Kunst ist wesentlich aus der Musik beeinflusst worden.
Laurence Weiner: A SQUARE REMOVAL FROM A RUG IN USE – muss nicht aufgeführt werden. Auch Sol Lewitt hat Konzepte für die «Aufführung» von Wandzeichnungen geschrieben. Die Scores werden als Störfaktoren in Praktiken der Bildenden Kunst eingeschleust und verändern das dortige Feld. Musik ist mehr Aneignung und Transformation als Repräsentation gefragt.
Cage bevorzugte Tudor als Interpr, es geht um Kontrollverlust. Komponisty als Künstly. Deskilling chancenlos. Grüny: «Reflektiertheit kann sich auch auf andere Weise zeigen als in technischer Brillanz, hermeneutischer Finesse und der Produktion von Komplexität. Aber es geht nicht nur um Reflektiertheit, die sich da zeigen muss.» Sondern um etwas das auf Vertrauen und Einverständnis und Good-Will basiert. Die 60er Jahre verwandeln den Score in eine offene Frage.