042 Log 221220 Nicolas Debade
GRM_Zeitkonzepte_aussermusikalische Bezüge
Nicolas Debade
Komponist, Musiker, Mitglied der Groupe de Recherches Musicales (GRM) seit 2019, Auszüge aus dem Interview vom 20.12.2022, 10h-12:15, Studios GRM, Paris.
Weiterführendes Material unter 040 Log 221220 und 041 Log 221220
pensée musicale
Zeit-Konzepte
- la situation granulaire
- Bergson / Einstein
- intuition
- potentiel
puis qu’on parle de la musique:
- code
- pensée musicale: versch. Modes d’existence, die sich nicht ineinander übersetzen, sondern nur diplomatisch (Latour) vermitteln lassen
- point de vue recherche / technique
Zeitverständnis
wie Zeit (re)präsentiert
wie wird Zeit «gemacht»
Umgang mit Zeit → Umgang mit Körper/Leib?
Bleibt das Magétophone in der Zeitachse unbearbeitet → Integrität der Zeitachse → Aufzeichnung = realer Zeit
nicht als Repräsentation realer Zeit
zu Beginn ist es kein symbolischer Prozess
Erst in einem zweiten Schritt wird das Tonbandmaterial zu einem Sound-Partikel
mit dem Cut-up verändert sich der Status der Schrift von der Aufzeichnung, zum Materialvorrat (vgl. Tonvorrat)
Soundpartikel (Tonbandmaterial) → Index (Icon, Symbol)?
Technische Schriften sind Indices?
Die integrale Aufzeichnung steht für einen «realen» Vorgang, eine mechanische Datenschrift, die Komposition für eine fiktionale, verdichtete, gestaltete Zeit?
pensée musicale
aussermusikalische Bezüge
Vgl. Diss. S.175
Theodor W. Adorno (1903–1969) geht in seinem Essay On popular music731 auf die Problematik phonographischer, sonischer Materialaspekte ein, welche dokumentarische, ereignishafte und biographische, also aussermusikalische Bezüge mit der Interpretation eines Werks vermengen. Auch Pierre Schaeffer erörtert im Rahmen seiner Theorie zur Musique concrète die Fragen nach dem Status der objets sonores, für die er im Gegensatz zu Adorno eine Autonomie als reine Klangobjekte beansprucht.
Ähnliche Fragestellungen werden im Rahmen von „sonic materialism“ des Philosophen Christoph Cox (*1965) diskutiert, hier zu Schaeffers Klangobjekte als autonome Ereignisse:
Pierre Schaeffer […] aimed to show in his analysis of the objet sonore, the sonorous object, which, he maintained, has a peculiar existence distinct from both its source and the listening subject. The sonorous object, Schaeffer insisted, is not the instrument that produces it, not the medium in or on which it exists, and not the mind of the listener. Sounds are ontological particulars and individuals rather than qualities of objects or subjects. And this is why works of musique concrète are not representations – of objects in the world or of worldly sounds – but presentations of sonorous objects. (Cox 2011:156) (1)
Klangobjekte sind individuelle Objekte, die die Klangwelt nicht repräsentieren, sondern die sich präsentieren, so Cox. Zum Konzept der objets sonores gehört auch Schaeffers Theorie der écoute réduite, 734 ein von allen aussermusikalischen Vorstellungen befreites Hören, das ausschliesslich auf die akustische Gestalt der Ereignisse fokussiert. Diese Art des Zuhörens hat sämtlichen assoziativen Ballast abgeschüttelt. Cox formuliert in Anlehnung an Schaeffer:
[…] we can experience a sound without experiencing its source, and the source without the sound. So while sources generate or cause sounds, sounds are not bound to their sources as properties. Sounds, then, are distinct individuals or particulars like objects. […] If sounds are particulars or individuals, then, they are so not as static objects but as temporal events.(Cox 2011:156) (2)
Es geht um das klangfarblich orientierte Hören
Adorno spricht von einer Überbetonung des Sonischen, als von einer Überbetonung der Oberfläche, Die sonische (?) Erscheinung der Musik zweitrangig.
→ in Theodor W. Adorno: „On popular music“, in: Essays on Music, University of California Press, Berkley, Los Angeles, London, 2002
Christopher Cox: Beyond Representation and Signification: Toward a Sonic Materialism, in: journal of visual culture, Volume 10 Issue 2, Special Issue: Sonic Arts and Audio Cultures, SAGE Publications (Los Angeles, London, New Delhi, Singapore and Washington DC), August 2011
Christopher Cox: Beyond Representation_Zusammenfassung